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Die letzte Reifung

Die letzte Reifung

Titel: Die letzte Reifung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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er zurückkam, fehlten nur zwei kleine Scheine.
    »Wie haben Sie das gemacht?«, fragte Bietigheim. »Nein, antworten Sie nicht! Ich will es gar nicht wissen.«
    »War gar nichts Schlimmes. Ich hab nur …«
    »Danke, reicht.«
    »Von mir aus. Nur ein Hinweis: Sie sollten hier erst mal nicht mehr essen gehen – sonst rufen die einen Arzt. Und der bringt dann eine sehr enge Jacke mit.«
    Sie verabschiedeten sich, und Pit brauste mit seiner Emma Richtung Meursault. Der Professor sah den Rücklichtern lange nach, bevor er Benno von Saber in den Fahrradkorb packte und in die Pedale trat. Eine herrliche Nacht, so würzig die Luft, so kühl der Windhauch, so klar der Sternenhimmel und dazu diese wunderbare Stille. Was konnte es Schöneres geben?
    Er war bereits eine gute halbe Stunde geradelt und befand sich genau zwischen Pommard und Volnay, als hinter ihm ein Wagen aufheulte. Sicher ein überschwänglicher Jugendlicher, der seinem Affen Zucker geben wollte, jetzt, da die Straße leer war.
    Doch dann bellte Benno von Saber in seinem Fahrradkorb. Bietigheim beugte sich nach vorn, um den Foxterrier zu beruhigen, wodurch er leicht nach rechts lenkte, Richtung Weinberge.
    Das rettete ihm vermutlich das Leben.
    Denn mit einem Mal streifte ihn der Wagen.
    In diesem Schreckmoment, als er versuchte, einen Sturz zu verhindern, als das Adrenalin sich wie eine Flutwelle in seinem Körper ergoss, nahm Bietigheim wahr, dass der Wagen ohne Licht fuhr.
    Und vor ihm mit quietschenden Reifen wendete.
    Auch der Professor drehte sein Gefährt und trat wie wild in die Pedale. Er musste zurück nach Pommard. In den Gassen des Dorfes hätte er eine Chance, dem Wagen zu entkommen.
    Hier dagegen …
    Der Wagen kam erneut näher. Der Professor traute sich nicht zurückzublicken, er trat und trat und trat, stieg gar aus dem Sattel. Doch er spürte, dass er es nicht schaffen würde. Die Lichter Pommards waren viel zu klein, und der Motor hinter ihm grollte wie ein Untier aus alten Legenden.
    Es gab nur eine Rettung.
    Die Weinberge!
    Der Professor bog ab, holperte über Gras. Das Fahrrad bockte auf dem unebenen Boden, kurz musste er anhalten, um es über ein niedriges Mäuerchen zu heben, dann sprang er wieder auf und versuchte, Geschwindigkeit aufzunehmen. Doch auf der feuchten Erde gelang ihm das nicht, er wurde stattdessen immer langsamer, und die leichte Steigung kostete Bietigheim viel Kraft. Hoffentlich wurde seine Kleidung nicht dreckig. Das passierte ja so schnell, wenn man querfeldein fuhr.
    Der Wagen war nicht länger hinter ihm.
    Der Professor wusste nicht, ob der Fahrer angehalten hatte und ihn nun zu Fuß verfolgte oder ob er fortgebraust war, um den Anschlag an einem anderen Tag zu wiederholen. Zur Sicherheit quälte er sich den ganzen Weg bis zum Ende des Weinbergs empor. Endlich lag der Bewirtschaftungsweg vor ihm, und er konnte wieder auf einer befestigten Straße weiterradeln.
    Als er dort ankam, galt es erst einmal, etwas anderes zu tun: Luft holen.
    Wollte der Fahrer ihn wirklich töten, oder sollte der Angriff nur eine Warnung sein? Und wenn es eine solche war, bedeutete dies, dass er dem Mörder auf der Spur war? Hatte ihn eben jemand mit dem Bürgermeister gesehen, oder war es gar Jules Bigot selbst, der ihm jemanden nachgeschickt hatte?
    Bevor der Professor auch nur zu einer einzigen Antwort kam, vernahm er wieder das Grollen des Motors.
    Der Wagen war ihm um den Weinberg gefolgt.
    Doch er befand sich noch weit entfernt, der Professor konnte also ein gutes Stück Richtung Pommard fahren, bevor er wieder in einen Weinberg wechseln musste.
    Er schaffte vielleicht hundert Meter.
    Diesmal hatte der Wagen sein Licht eingeschaltet.
    Immer heller strahlte es auf die Straße.
    Bietigheim musste abbiegen. Sofort!
    Doch dieser Weinberg war nicht gut gepflegt. Die Rebstöcke trieben ungehindert aus, immer wieder schlugen dem Professor Blätter ins Gesicht.
    Er kam nur stockend vorwärts. Denn die Weinrebe ist eine Rankpflanze. Wenn ihre Sprossen etwas ergriffen haben, lassen sie es nicht mehr los. Und wenn es sich bei diesem Etwas um den benachbarten Rebstock handelt, ist ohne scharfe Machete kein Durchkommen mehr im Rebgang.
    Das musste nun auch der Professor erfahren. Die verknoteten Ranken waren fest wie ein Schiffstau und rissen ihn vom Fahrrad. Mit voller Wucht fiel er auf den Rücken und meinte zu hören, wie sich seine Bandscheiben knackend verschoben. Die Luft blieb ihm weg, und der Schmerz war plötzlich überall. Doch

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