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Die letzte Reifung

Die letzte Reifung

Titel: Die letzte Reifung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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merke sofort, wenn einer lügt.«
    Einohr hatte offensichtlich ein äußerst abwechslungsreiches Berufsleben hinter sich.
    »Was ist Pepe denn für einer?«
    »Tja, was ist der für einer? Ein guter Bursche, ruhig, erzählt nie viel von sich. Kann ordentlich was vertragen, jeden Fusel. Manchmal ist er etwas verwirrt, plappert dann von seiner Zeit in der Fremdenlegion. Alles gelogen. Er behauptet auch, er käme aus der Gegend hier. Völliger Quatsch.«
    »Wie alt ist er?«
    Einohr lachte laut auf. »Ich weiß ja noch nicht mal, wie alt ich bin. Dabei war ich früher Mathelehrer. Ich glaube, ich bin um die vierzig. So fühle ich mich zumindest. Vierzig und ein bisschen. Sieht man nur nicht wegen dem Dreck. Aber meine Haut ist wie ein Babypopo.«
    Wenn der Einohrige vierzig war, dann steckte Mick Jagger noch in der Pubertät.
    »Und wo kann ich diesen Pepe finden?«
    Nicolas zuckte mit den Schultern.
    »Heißt das, du weißt es nicht?«
    »So kann man es auch sagen.«
    Eine merkwürdige Antwort. »Was meinst du damit?«
    »Pepe ist tot. Erfroren. Vor zwei, drei Jahren. Können auch vier gewesen sein. Vielleicht auch fünf. Also nicht mehr als sechs. Ob er in den Himmel oder die Hölle gekommen ist, weiß ich allerdings nicht.« Er bekreuzigte sich. »Obwohl ich früher Küster war.«
    Vielleicht war es aus schlechtem Gewissen Béatrice gegenüber, vielleicht auch einfach nur, weil er diesen Clochard ins Herz geschlossen hatte, auf jeden Fall steckte Jan ihm nun drei Fünfzig-Euro-Scheine zu. »Lass es dir mal wieder richtig gut gehen, wie es bei messerwerfenden, Mathe lehrenden Seemännern mit Anwaltslizenz und Küsternebenjob üblich ist.«
    »Von Haus aus bin ich eigentlich Landvermesser.«
    »Die feiern ja bekanntlich am wildesten.«
    Echte Arbeitsmoral endete nicht mit dem Tod des Chefs. Deshalb stand der Professor nun wieder in der Käserei von Monsieur Vesnin und ließ seine Nase vom Duft des Thillon umschmeicheln. Er hatte sich sogar einen Happen zum Eintreffen gegönnt. Eigentlich drei Stücke – in unterschiedlichen Reifestufen. Damit galt dieser Snack als wissenschaftliche Untersuchung.
    Monsieur Vesnins Witwe hatte mit einem Blick erkannt, dass Emanuelle als Einzige den Laden schmeißen konnte, und ihr die Leitung übertragen. Wie sich herausstellte, war das Gerücht, Beatrice Leroy würde als Patentochter alles erben, genau das gewesen: nur ein Gerücht. Offen blieb, wer es gestreut hatte und warum. Vielleicht war eine alte Rechnung beglichen worden – auf besonders niederträchtige Art und Weise.
    Der Professor fand Emanuelle im Büro des Ermordeten, wo sie Unterlagen durchwühlte. Schweiß stand ihr auf der Stirn und blonde Strähnen schauten unter der durchsichtigen Plastikhaube hervor.
    »Adalbert, dich schickt der Himmel.« Emanuelle gab ihm die obligatorischen Küsse auf die Wangen.
    »Fast. Mich schickt die Universität Hamburg.«
    »Wie bitte?«
    »Nichts. Wo ist Not am Mann?«
    Sie drückte ein Lächeln heraus. »Eigentlich überall. Aber jetzt habe ich wenigstens fast alle Informationen zusammen. Es war wie puzzeln.« Sie deutete auf einen Packen Papier. »Du musst nicht meinen, dass Jean-François irgendwem das ganze Geheimnis seines Käses verraten hätte. Jeder bekam nur einen Teil zu hören, und einige Arbeiten führte er stets alleine durch.«
    »Was für ein Unsinn. Der Thillon ist nicht zu kopieren. Selbst wenn man dieselbe Kuhrasse nehmen, sie gleich füttern und den Käse mit denselben Mikroorganismen impfen würde, käme doch ein anderes Produkt heraus. Denn das spezielle Klima eines Reifekellers lässt sich niemals reproduzieren. Das ist Magie!«
    Emanuelle legte den Kopf schief und blickte ihn lange an. »So einen Praktikanten wie dich hatten wir noch nie.«
    »Ich bin der festen Überzeugung, dass niemand jemals einen Praktikanten wie mich gehabt hat.«
    »Wir müssen mal in Ruhe einen Kaffee zusammen trinken gehen, aber nicht jetzt. Hier ist meine Arbeit fürs Erste getan, aber gleich muss der Lab zugegeben werden. Kannst du das Putzen übernehmen?«
    Sie war unheimlich gestresst. Und deshalb schnell aus dem Büro, nachdem der Professor ihre Frage bejaht hatte. Nun war er allein, und das schwarze lederne Spiralbindungsbüchlein lag vor ihm auf dem Schreibtisch.
    Bietigheim hatte es die ganze Zeit über begierig im Blick behalten. Vermutlich ein Terminkalender – und ein solcher gab viel über seinen Besitzer preis. Wieso die Spurensicherung nicht alles aus diesem Büro in Kartons

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