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Die letzte Reifung

Die letzte Reifung

Titel: Die letzte Reifung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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Bietigheim dachte in diesem Moment nur an Benno und dass ihm hoffentlich nichts passiert war. Eine nasse Zunge, die plötzlich durch sein Gesicht glitt, verriet ihm, dass der kleine Foxterrier in guter Verfassung war.
    Die Scheinwerfer des Verfolgers schwenkten in seine Richtung. Der Wagen hielt. Bietigheim hörte, wie die Fahrertür geöffnet wurde.
    Schritte waren auf dem weichen Boden nicht auszumachen.
    Hoffentlich würde Benno von Saber still sein.
    Der Professor beugte sich zu ihm und flüsterte in sein Ohr.
    »Sei ganz ruhig, mein Kleiner. Keinen Mucks, ja? Ich kann dir leider nichts vorsingen, sonst hört man uns.«
    Augenblicklich riss sich Benno von Saber los und lief bellend auf das Licht zu, ganz gemäß der Regel: Je kleiner der Hund, desto größer der Gegner.
    Doch da ertönte ein dumpfes Geräusch, und das Bellen verstummte.
    Jetzt konnte der Professor auch Schritte hören. Sie kamen näher.
    Er musste sofort aufstehen und fortrennen! Unter lautem Stöhnen richtete er sich auf, spürte jeden seiner Knochen und jedes Jahr seines Lebens. Mit dem Schienbein war er beim Sturz gegen einen alten Rebstock gekracht, dort pulste der Schmerz nun am heftigsten.
    Die Schritte waren nicht mehr weit entfernt.
    Die Flucht würde ihm nicht gelingen.
    Und er besaß nichts zur Verteidigung. Kein Pfefferspray, kein Taschenmesser, ja, nicht einmal einen krummen Stock. Doch das Wort war schließlich die mächtigste Waffe. Er würde mit dem Angreifer reden!
    Jetzt war dieser nur noch zwei Rebreihen entfernt. Bietigheim konnte bereits Beine erkennen, die das Scheinwerferlicht im Rhythmus der Schritte verdunkelten. Nur eine Rebreihe trennte den Verfolger noch von ihm, und dieser hatte ein Messer, mit dem er die Ranken durchschnitt. Der Professor meinte, die Schärfe der Klinge zu hören.
    Da erklangen die Bremsen eines weiteren Wagens. Wieder wurde eine Fahrertür geöffnet.
    »Benno, warum liegst du denn hier auf der Straße?« Die Stimme wurde lauter. »Professore? Wo stecken Sie?«
    Pit! Den schickte zur Abwechslung mal der Himmel. Auch wenn bärtige Rocker dort sonst nicht zur Belegschaft gehörten.
    Die Schritte des Verfolgers stoppten und entfernten sich dann rasch.
    »Hier bin ich!«, rief der Professor. »Im Weinberg. Wie geht es Benno?«
    »Er leckt sich die Flanke. Sieht aber fidel aus.«
    Gott sei's gedankt! Benno war schließlich sein engster Vertrauter, sein Testhörer für neue Vorlesungen und Vorkoster für historische Gerichte. Und sein Freund. Der Professor hätte es nicht zugegeben, doch er liebte das kleine Fellknäuel.
    Pit brauchte kein Messer, um durch die Ranken zu kommen. Er walzte sich einfach durch. Schnell war er beim Professor, stützte ihn, schulterte auch das Fahrrad und brachte beide zu seinem Wagen.
    Erst nachdem Bietigheim seinen Benno behutsam im Arm hielt, konnte er wieder einen klaren Gedanken fassen.
    »Wo kommen Sie eigentlich so plötzlich her? Ich habe doch gesagt, dass ich es alleine schaffe.«
    »Kann es sein, dass ich Sie gerade gerettet habe?«
    »Nun lenken Sie mal nicht ab. Ich hatte die Situation völlig im Griff.«
    »Ich bin nur hier, weil es gleich anfängt zu regnen und Sie noch nicht zurück waren.«
    »Jetzt hören Sie doch auf mit dem Unsinn! Es fängt nicht an zu regnen. Sie sind ja wie eine überbesorgte Mutter.«
    »Ein guter Taxifahrer ist immer wie eine Mutter. Jetzt steigen Sie schon ein, wir müssen Benno zu einem Tierarzt bringen. Was ist hier eigentlich genau passiert?«
    Die Fahrt war lang, aber es gab ja viel zu erzählen.
    Und der prasselnde Regen störte dabei überhaupt nicht.
    Es handelte sich um keine Observierung im üblichen Sinn. Pit saß nicht in einem alten Chevrolet, mit dem Fernglas in der Hand und einem Plastikkaffeebecher auf dem Armaturenbrett.
    Stattdessen fuhr er einem Linienbus hinterher.
    Der Professor hatte am Morgen unmissverständlich klargemacht, dass Gérard nicht aus den Augen gelassen werden durfte. Und der saß in dem langsam tuckernden Bus.
    Vielleicht geschah ja noch ein Wunder, und Gérard kaperte den Bus, um damit zu fliehen.
    Denn jeder Taxifahrer hoffte sehnlichst auf eine zünftige Verfolgung. Den Moment, wenn jemand am Bahnhof Altona einsteigt, von der Rückbank zwei Hunderter nach vorne reicht und kurzatmig raunt: »Folgen Sie dem grünen Ford Escort!« Und die Fahrt dann mit Düsenjetgeschwindigkeit und qualmenden Reifen über knallrote Ampeln und durch Fußgängerzonen bis nach Jenfeld geht, wo der Flüchtende im Kugelhagel

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