Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die letzte Reifung

Die letzte Reifung

Titel: Die letzte Reifung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
Vom Netzwerk:
Kreuzes (in harter wie flüssiger »Währung«), Kindermessen, Altenstuben – der Dorfpfarrer schien sich in Epoigey um alles selbst zu kümmern. Bargeld, Schuldscheine oder gar einen Hinweis auf ein Mordkomplott suchte Bietigheim vergebens, was ihn jedoch nicht weiter verwunderte. So einfach machte es einem das Leben nicht.
    Benno sprang auf den Schreibtisch, der schöneren Aussicht wegen. Als Feldherr musste man einfach den Überblick haben. Der Professor stellte sich ans Fenster und blickte hinaus auf den kleinen, alten Friedhof. Vor den Toren Epoigeys war längst ein neuer angelegt worden, da dieser hier wegen Überfüllung geschlossen werden musste. Das Sterben ging eben immer weiter.
    Wieso war Blut an der Rezeptur? Und welchen Vorteil hatte der Priester überhaupt davon? Es ließ sich nicht zu Geld machen, denn man brauchte auch die Zutaten, um Madeleine Poincarés prachtvollen Käse nachzuahmen. Dazu gehörten die Kühe, das Gras, auf dem sie standen, die Luft, die sie atmeten, sowie das einzigartige Klima des Kellers. Viele Zeilen der Rezeptur waren wieder und wieder durchgestrichen, mal mit einem Kugelschreiber, mal mit einem Bleistift. Es war nicht an einem Tag erstellt worden, nicht einfach auf- oder abgeschrieben. Die Rezeptur war die Arbeit vieler Wochen, Monate oder gar Jahre.
    Von Schulden des Pfarrers war nichts bekannt, und der Professor hatte auch kein sonst wie belastendes Gerücht aufgeschnappt, dabei waren Priester stets beliebter Gegenstand des Dorfgeschwätzes.
    Die Rezeptur war für den Mann völlig wertlos…
    Das heißt: Jeder wusste, dass Madeleine Poincaré ein großes Geheimnis um ihren Käse machte. Wenn sie also starb, konnte niemand die Käserei weiterführen.
    Es sei denn, er besaß diese Rezeptur.
    So musste es dem neuen Besitzer der Käserei gehen.
    Frombel.
    Er musste nach Lyon!
    Mit ein paar Pfiffen beorderte er Benno zu sich. Der Foxterrier gehorchte nur, weil es sich um die ersten Töne des Brandenburgischen Konzerts Nr. 3 von Johann Sebastian Bach handelte. Gegen Barock kam selbst seine Dickköpfigkeit nicht an. Der Professor rannte zwar nicht zu seinem Fahrrad, denn übermäßige Eile war schlecht für das Herz, doch er beschleunigte seinen Schritt erheblich. Beim Fahrrad angekommen, setzte er flugs seinen Strohhut auf, krempelte die Hosenbeine hoch und schwang sich auf den Sattel.
    Doch weit kam er nicht, denn eine Straßensperre verbaute ihm den Weg. Sie hatte die Statur eines Orang-Utans, zwei haarige Arme und das Gesicht von Bürgermeister Jules Bigot. Da Bietigheim keine Banane hatte, um ihn abzulenken, musste er anhalten.
    »Ah, der Herr Professor aus Deutschland! Haben Sie einen Augenblick Zeit für mich? Aber natürlich haben Sie das nicht. Ein so vielbeschäftigter Mann wie Sie, der den Käsemörder finden will, indem er das Geheimnis der glücklichen Kühe löst, nicht wahr? Glückliche Kühe, das war doch richtig?«
    »Nein, glückliche Bürgermeister.«
    »Zu Scherzen aufgelegt! So kennt man die Deutschen ja gar nicht. Wie schön.«
    »Ich muss dringend weiter.«
    »Nein, glauben Sie mir, das müssen Sie nicht.« Er hielt den Fahrradlenker fest.
    »Sie vergessen Ihre Manieren.«
    »Aber ganz im Gegenteil. Ich will Ihnen eine freudige Nachricht überbringen. Nur Ihr Bestes habe ich im Sinn.«
    »Ich darf mich verabschieden.«
    Er wollte weiterfahren, doch Jules Bigot hielt den Lenker nun so fest umklammert, als bestünden seine Muskeln aus Stahlseilen.
    »Der Mörder ist gefasst worden.«
    Plötzlich wollte Bietigheim nicht mehr fahren. »Vielleicht habe ich doch eine Minute Zeit.«
    »Die sollten Sie sich nehmen!« Jules Bigot strahlte triumphierend. »Während Sie sich über die französische Polizei lustig gemacht haben, hat diese nämlich den Täter dingfest gemacht.«
    »Wer…soll es denn gewesen sein?«
    Selbst Benno schien nun die Ohren zu spitzen.
    »Ein Clochard, der als "Einohriger" bekannt ist.«
    Nun war es am Professor zu lächeln. »Und wieso sollte der zwei Käser umbringen?«
    »Es wird Raubmord vermutet.«
    »Aber es wurde doch nichts gestohlen.«
    »Wer weiß? Vielleicht hatten sie ja doch irgendwo Geld herumliegen. Zumindest wurde dieser Einohrige in Beaune aufgegriffen, wie er es sich fürstlich gut gehen ließ. Der Polizei war bereits bekannt, dass er in Madeleines Haus ein- und ausging.«
    »Das ist alles? Daraufhin verhaftet man ihn? Er hat nichts mit Jean-François Vesnin zu tun. Hier soll ganz eindeutig ein Sündenbock gefunden werden,

Weitere Kostenlose Bücher