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Die letzte Reifung

Die letzte Reifung

Titel: Die letzte Reifung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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auf dem Weg nach oben macht man sich unweigerlich welche.«
    »Das sagt man, ja. Aber wenn ich wüsste, wer es ist, hätte ich der Polizei schon längst einen anonymen Hinweis zukommen lassen. Oder glauben Sie, ich bin lebensmüde?«
    »Nein, das glaube ich nicht. Aber ich glaube, dass Sie mir immer noch nicht die ganze Wahrheit erzählen. Wenn alles stimmt, was Sie sagen, warum sind Sie dann so plötzlich verschwunden, nachdem ich Ihnen von dem Mord an Madeleine Poincaré erzählt habe?«
    »Eine Frage, Professor, das war ausgemacht. Und Ihr Wort zählt doch, oder?«
    Das tat es.
    Selbst jetzt.
    Denn sonst wäre es nicht mehr wert gewesen als ein alter Kaugummi unter der Ledersohle.
    »Ich habe den Eindruck«, sagte Bietigheim, »Benno hat seinen Appetit auf Käse verloren. Ich darf mich entschuldigen.«
    »Ein Käse mit auf den Weg?«
    »Gerne! Ich nehme einen Vacherin d'Epoigey.« Der Professor griff sich einen der Käselaibe, stand lächelnd auf und verließ das Geschäft, ohne sich noch einmal umzudrehen.
    Benno hatte sich den Schinken nun redlich verdient.
    Der Professor ließ ihn genau vor dem Schaufenster der Fromagerie aus dem Ärmel gleiten. Ganz langsam.
    Denn Hervé Picard sah ihm bestimmt noch nach.
    Auf dem Rückweg nach Meursault fuhr Bietigheim mit seinem Fahrrad durch Epoigey, die Augen aufhaltend nach nichts Bestimmtem. Er hatte den Eindruck, nun nahezu alle Fakten zu kennen, die für die Lösung des Falles nötig waren. Trotzdem wusste er nicht, wer der Täter war. Als hätte man ihm Mehl, Butter, Eier, Backpulver, Zucker und Salz gegeben, doch das Rezept für den Kuchen vergessen.
    Er stellte sein Rad vor der Käserei von Madeleine Poincaré ab, nahm das Haus von außen nochmals in Augenschein, wie auf einem Rätselbild den Fehler suchend. Doch alles passte, jeder Mauerstein gehörte hierhin. Nur etwas stimmte nicht. Das Haus wirkte tot.
    Wie Gebäude dies bewerkstelligten, war dem Professor schleierhaft. Doch man sah ihnen an, ob sie bewohnt wurden. Es lag nicht allein an geputzten Fensterscheiben, gestärkten Gardinen oder aufsteigendem Rauch. Es war vielmehr wie bei Perlen, die erst glänzten, wenn sie getragen wurden.
    Neben der kleinen Käserei war bereits Erdreich ausgehoben worden. Hier sollte die neue Produktionshalle entstehen, gebaut von Generalübernehmer Jules Bigot. Ein Schild kündete bereits von dem Vorhaben. Der Zeichnung nach würde es den Turm zu Babel wie einen begrünten Carport wirken lassen.
    Erstaunlich, wie schnell Baupläne, Statik und Genehmigung vorgelegen haben mussten. Wenn die mal nicht in einer Schublade auf ihren großen Tag gewartet hatten.
    Neben der Kirche Saint-Jean fand der Professor einen schattigen Platz mitsamt Sitzbank. Er legte den Strohhut neben sich, ordnete seine Frisur und ließ Benno von der Leine.
    »Such dir ein schönes schattiges Plätzchen und leg dich etwas hin, alter Junge. Ist viel zu heiß, um herumzurennen.«
    Wie eine Rakete schoss Benno ins Untergehölz und bellte, als gelte es, eine Armee einmarschierender Perserkatzen zu vertreiben. Vögel stoben auf, andere Hunde, weit entfernt und nicht zu sehen, stimmten ins Gebell mit ein. So viel zur besinnlichen Ruhe.
    Der Professor holte den Vacherin d'Epoigey aus seinem Rucksack und tat etwas äußerst Ungewöhnliches. Er biss hinein. Einfach so. Es gehörte sich nicht, es war ein Frevel an der Kunst des Käseverzehrs, doch ihm war gerade danach, und es guckte keiner. Mit diesem Käse hatte die Mordserie begonnen. Vielleicht stießen die intensiven, salzigen Aromen der Spezialität in seinem Kopf die richtigen Nervenzellen an. Doch selbst der intensive Geschmack des Käses lockerte keine erhellenden Erinnerungen.
    Dafür mundete er köstlich.
    Plötzlich verstummte Benno, seine Rute schlug wie wild. Er stöberte zwischen zwei Vorsprüngen der Kirchenmauer, ein großer Brombeerbusch wuchs davor, und etwas Dunkles befand sich in Bodennähe. Es sah aus wie ein Müllsack. Benno zog daran, doch das Etwas bewegte sich keinen Zentimeter. Dann zerrte der Foxterrier mit aller Kraft, immer wieder ruckte sein Hinterteil schlagartig zurück.
    Das Etwas kippte um.
    Und Bietigheim stellte überrascht fest, dass es ein Gesicht hatte.
    Genauer gesagt: das des Dorfpfarrers.
    Sofort rannte er zu ihm. Hinter dem Geistlichen lag eine beachtliche Flaschensammlung, die bis auf den allerletzten Tropfen geleert war. Den Seinen gab es der Herr im Schlaf. Das hatte der Bursche wohl zu wörtlich genommen.
    Der Priester

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