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Die letzte Reifung

Die letzte Reifung

Titel: Die letzte Reifung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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Motiv sowie die Antwort darauf, warum Hervé Picard sich so merkwürdig verhalten hatte, und auch was die Schießerei in Camembert sollte und weshalb Käsestücke in den Mündern der Leichen lagen.
    Alles fügte sich mit einem Mal zusammen.
    Er gab Marie Antoinette einen Kuss. Nicht auf den Mund, nein, so weit ging er nicht, sondern wie ein stolzer Vater auf die Stirn.
    Seine Testreihe würde er trotzdem noch beenden. Marie Antoinette hatte sich ihren Rausch redlich verdient!
    Immer mehr Studenten strömten in die Höhle. Am Ende waren es siebenundzwanzig, die alle von der unentwegt gute Laune ausstrahlenden Rena instruiert wurden. Der Professor hatte ihr aufgetragen, sich um gutes, gesundes Essen und ein paar Flaschen ansprechenden burgundischen Weins zu kümmern. Den jungen Leuten sollte es an nichts fehlen, auch wenn er es aus eigener Tasche zahlen musste – doch sie sollten nicht erfahren, dass ihr Professor weich geworden war und sich um sie sorgte. Rena musste vorgeben, alles aus der Fachschaftskasse zu bezahlen.
    Logistisch betrachtet war der Turmbau zu Babel ein Pappenstiel gegen die Vorbereitungen für den Käseigel, doch Rena bekam alles mit einem Lachen hin. Selbst Pit hatte sie für eine Aufgabe am Sonntag eingeteilt.
    Er würde die Security sein.
    Jan war dagegen zu nichts mehr zu gebrauchen. Er fuhr jetzt in jeder freien Minute zu Béatrice und packte im Weinberg mit an.
    Für den Professor ging es in den nächsten zwei Tagen vor allem darum, die VIPs zur feierlichen Präsentation des Käseigels zu verpflichten. Dies war seine Liste:
    – Emanuelle von der Käserei Vesnin
    – Ex-Gendarme Benoit Sokal
    – Bürgermeister Jules Bigot
    – der immer noch auf freiem Fuß weilende Pfarrer von Epoigey
    – Gérard (er würde rechtzeitig aus dem Krankenhaus entlassen werden)
    – Hervé Picard
    – der Erzbischof von Clermont (um den Segen für den Käseigel zu sprechen)
    – Béatrice Leroy
    – Claude Bourcin, der Käsekönig von Frombel
    Sogar den Clochard Dow Jones hatte er aufgetrieben, sowie eine ganze Horde von Käsern des geheimen Zirkels. Davide Aleppo kam extra aus Korsika angereist (und schien, obwohl er das nicht zugeben wollte, froh zu sein, von der Käserei und einem möglichen weiteren Mordanschlag fortzukommen).
    Dem Professor war es wichtig, alle vor Ort zu haben, wenn die Morde aufgeklärt wurden. Schließlich hatten sie die Käseszene Frankreichs sowie etliche Dörfer aufgerieben und die kulinarische Tradition Europas massiv gefährdet. Alle sollten gemeinsam erfahren, was wirklich geschehen war, nur dann würden sich die Wogen wieder glätten – und die Franzosen würden endlich begreifen, wozu ein deutscher Professor fähig war.
    Viel schwieriger, als diese illustre Runde am heiligen Sonntag wegen eines Käseigels nach Epoigey zu locken, war das Lied. Der Professor hatte lange Spaziergänge mit Benno von Saber durch die idyllischen Weinberge Meursaults unternommen, auf denen er summen konnte, ohne dass jemand seine sonore Tenorstimme vernahm. Zu Anfang hatte er nach berühmten Käseliedern gesucht, die sich mit wenigen Kunstgriffen abändern ließen. Als Erstes war ihm der Refrain eines alten Ohrwurms in den Sinn gekommen:
    »C'est bon, c'est bon, Géramont, Géramont.«
    Aber die Strophen wollten ihm partout nicht einfallen.
    Bei der nächsten Runde um das Dorf – es sollten noch viele mehr werden – machte sich seine Teilnahme an einer Karnevalsfeier mit dem niederen Universitätspersonal (Hausmeister, Putzfrauen oder Küchenpersonal) bezahlt. Dort waren viele lustige Lieder gespielt worden, darunter eines, das sich ganz leicht als Motto-Lied für den Käseigel umfunktionieren ließ:
    »Hier fliegen gleich die Löcher aus dem Käse,
    denn gleich geht sie los, unsere Polonäse.
    Von Epoigey bis hinter Camembert!«
    Hm.
    Benno hatte leicht aufgejault während des Vortrags.
    Nun gut, Händel war es sicher nicht, aber diese Schmissigkeit wäre dem Anlass angemessen. Doch Madeleine Poincarés Käse musste unbedingt im Refrain vorkommen, um ihn ging es schließlich – auch wenn die letzten Original-Laibe mittlerweile so teuer waren, dass nur ein einziger mit Vacherin d'Epoigey verzierter Zahnstocher den höchsten Punkt des Igels zieren würde.
    Der Professor begann erneut zu singen.
    »Vacherin d'Epoigey …«
    … du bist lecker? Nein, das war zu nichtssagend.
    … in der Sonne fließt du dahin wie ein Fluss? Na ja, so langsam wie ein brackiger Fluss, um genau zu sein. Also besser

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