Die letzte Reifung
verlangt.«
»Ach?«
»Jawohl. Und? Waren die Kühe glücklich?«
»Darüber liegen mir keine Informationen vor. Er ist erst vor gut einer Stunde tot aufgefunden worden. Wir sind direkt nach Epoigey, um O-Töne aufzunehmen.«
»Ich muss telefonieren.« Bietigheim machte auf dem Absatz kehrt.
»Warten Sie«, die Frau hielt ihn am Ärmel fest. »Unser Interview!«
Bietigheim drehte sich um. »Wie ist er gestorben? Auf welche Art wurde Selles ermordet?«
»Das werden Sie nicht glauben. Jungs, nehmt bitte auf, wie ich ihm das erzähle. So was hat er sicher noch nie gehört. Also, Herr Professor. Christophe Selles ist …«
Und in diesem Moment wusste Bietigheim es. Obwohl er so etwas tatsächlich noch nie gehört hatte.
Zumindest nicht in diesem Jahrhundert.
Der Valençay hatte die Form eines Pyramidenstumpfes. Ursprünglich, so ging die Legende, bildete er eine perfekte Pyramide. Als Napoleon jedoch nach einem verheerenden Feldzug aus Ägypten zurückkehrte, legte er einen Zwischenstopp im Schloss Valençay ein. Dort wurde ihm der heimische Käse serviert, welcher ihn schmerzlich an seine Niederlage erinnerte – weswegen er ihm kurzerhand mit dem Schwert die Spitze abschlug. Dabei war Gewalt gegen Käse nie eine Lösung.
Diese Anekdote, die Aussage der Journalistin und die Vorliebe des Mörders für thematisch passende Morde ließ nur eine Todesart zu. Christophe Selles war…
»…geköpft worden.«
Die Fernsehfrau hielt den Mund.
Wie erholsam.
Und der Professor ging zurück zu Rena. In seinem Magen machte sich ein mulmiges Gefühl breit. Noch ein Mord!
Mit dem Käseigel durfte nichts schiefgehen.
KAPITEL 10
Die Frage nach dem größten Stinker
Im Angesicht der Kuh.
Mit dem Rind auf Du und Du.
Oder:
Der Professor mit der Lizenz zum Melken.
Bietigheim fielen eine Menge Filmtitel zu seiner jetzigen Situation ein. Dem Rindvieh, das nun vor dem Professor stand, schien dagegen überhaupt nichts durch den Kopf zu gehen. Es schüttelte nur ab und an denselben, um lästige Fliegen zu vertreiben. Der Professor saß auf einem Melkschemel und blickte der Kuh tief in die dunklen Augen. Verhörsituation. Ihm war natürlich klar, dass sie nicht sprechen würde, egal, wie durchdringend er sie auch anschaute. Aber vielleicht verriet etwas an ihrem Verhalten, wie der Mörder das Lächeln auf ihre Lipp… ihr Maul gezaubert hatte.
Zehn Minuten starrte der Professor die Kuh namens Marie Antoinette jetzt schon an, hier, im Stall der Käserei Vesnin. Emanuelle hatte ihm erlaubt, einige Zeit mit dem Tier zu verbringen – doch erst, nachdem sie ihm viele, viele Fragen gestellt hatte. Dann hatte er Béatrice kommen lassen, um ihm zu zeigen, wie sie die Kühe massierte. Das entspannte die Tiere zwar, doch rauschhaftes Glück hatte Béatrice nicht produziert.
Oder nicht produzieren wollen.
Nun war er allein mit Marie Antoinette.
In der Höhle kümmerte sich derweil Rena um alles. Sie quartierte eintreffende Studenten ein, verteilte Aufgaben, nahm Käselieferungen an und ging mit dem Schreiner das Gerüst des Käseigels durch. Nur Benno von Saber hatte Bietigheim mit in die Scheune genommen. Getreu dem Polizei-Verhör-Motto: Guter Bulle, böser Hund.
Der böse Hund schlief allerdings im Heu.
Alle viere in die Luft gestreckt wie ein kleiner Maikäfer auf dem Rücken.
Musste er eben alleine klarkommen.
Der Professor beschloss, seine Versuchsreihe zu starten. Marie Antoinette würde heute glücklich gemacht werden, ob sie wollte oder nicht.
Ihrem Gesichtsausdruck nach war es ihr völlig egal.
Marie Antoinette war speziell ausgewählt worden. Sie war eine alte Kuh, weswegen sie nicht mehr den Drang verspürte wegzurennen, wenn sich ihr jemand Fremdes näherte. Außerdem war sie in guter Verfassung. Ihr Haarkleid glänzte, es gab keine Abschürfungen an den Sprunggelenken, die auf eine falsche Liegeposition deuteten, und ihr Pansen war gut gefüllt – was der Professor daran erkannte, dass die linke Seite des Bauchs sich vorwölbte. Gerade war Marie-Antoinette beim Wiederkäuen, womit eine Kuh satte sieben bis zehn Stunden pro Tag verbringen könnte.
Also alles im grünen Bereich.
Noch.
Der Professor packte den alten Kassettenspieler aus seinem Lederrucksack. Was einen Foxterrier in Entzücken versetzte, konnte für eine Kuh nicht schädlich sein: Barock-Musik. Bietigheim begann jedoch mit Flüsterlautstärke, schließlich reagierten Kühe viel empfindlicher auf Lärm als Menschen. Sie konnten Töne bis zu 8000
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