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Die letzte Reifung

Die letzte Reifung

Titel: Die letzte Reifung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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Hertz wahrnehmen, wohingegen der Mensch im Bereich von 1000 bis 3000 Hertz am empfänglichsten war. Schrille Geräusche waren Kühen deshalb ein Gräuel, vor allem, wenn sie eine ruhige Weide gewohnt waren. Der Professor hatte in der Nacht recherchiert und herausgefunden, dass sich, einer texanischen Studie zufolge, der Herzschlag von grasenden Kälbern bereits durch ein schellendes Telefon deutlich erhöhte.
    Seiner im Übrigen auch.
    Marie Antoinette stand weiterhin ruhig vor ihm. Trotz der Musik waren keine Ausbrüche spontanen Glücks zu erkennen. Der Professor ging auf Zimmerlautstärke. Die Kuh käute gemütlich wieder, ihr Schwanz schlug nicht im Takt.
    Hm, vielleicht lieber Beethoven? Die sechste Sinfonie , die Pastorale , hatte der Professor auch dabei, schließlich hatte der große Komponist sie Erinnerungen an das Landleben untertitelt. Er wechselte die Kassetten.
    Käute Marie Antoinette nun nicht ein wenig zufriedener?
    Er stellte lauter.
    Die alte Leitkuh schnaubte und trippelte leicht umher.
    Kein gutes Zeichen.
    Beethoven nervte sie.
    Also: keine Musik.
    Gut, musste ja nicht sein.
    Nächster Test: Alkohol.
    Von diesem Versuch hatte der Professor Béatrice vorsichtshalber nichts erzählt.
    Kühe vertrugen Alkohol überraschend gut und konnten ihn auch in größeren Mengen zu sich nehmen. Bietigheim hatte allerdings noch nie ein strunzbesoffenes Rind gesehen. Zumindest kein vierbeiniges. Doch in Australien verfütterte ein Bauer neuerdings Rotwein an seine teuren Wagyu-Rinder, pro Tag und Kuh einen Liter. Das Ergebnis ließ sich angeblich schmecken. In Japan verwöhnten die Bauern ihre Edelrinder sogar mit Massagen, Musik und Bier. Alkohol wirkte appetitanregend und beruhigend auf die Tiere, sie bewegten sich dadurch weniger und fraßen mehr. Pit hatte bestätigt, dass dies typisch für fortgeschrittenen Alkoholgenuss war.
    Vielleicht sollte er Marie Antoinette den Wein lieber am Ende seiner Versuchsreihe einflößen.
    Also erst einmal die Räucherstäbchen. Er wusste nicht genau, welche Wirkstoffe darin enthalten waren, doch Rena hatte ihm versichert, sie würden zu einer heiteren Stimmung führen. Zimt, Vanille, Moschus und Sandelholz stand auf der reich verzierten Packung. Natürlich war es gefährlich, in einem Stall voll trockenen Strohs mit offenem Feuer zu hantieren, doch es diente immerhin der Wahrheitsfindung.
    Bietigheim ließ den Rauch in die gewaltigen Nüstern Marie Antoinettes aufsteigen, welcher das überhaupt nicht passte. Der Geruch von Kuhfladen? Gerne. Der Geruch von warmer Vanille? Nicht mit ihr.
    Okay, das war also auch nicht die Lösung. Was hatte er noch? Ach, ja. Das besondere Mitbringsel seines Studenten aus dem Ahrtal, eines ziemlich durchtriebenen Früchtchens. Aber dieses eine Mal war seine kriminelle Ader von Vorteil gewesen. Manche Studenten mochten den Professor für weltfremd halten, doch er verfügte über eine ausgezeichnete Menschenkenntnis und wusste daher genau, wer ihm etwas Haschisch besorgen konnte. Selbstverständlich eingebacken in Kekse, denn Marie Antoinette zum Rauchen zu bringen hätte ihn vor nicht unwesentliche Probleme gestellt.
    Die alte Kuh fraß den ersten Keks mäßig interessiert aus seiner flachen Hand. Doch nach nur kurzer Zeit streckte sie tatsächlich ihre lange Zunge nach dem zweiten Keks aus. Mit einem Hauch Gier. Wie viele Kekse ein Rind wohl brauchte, um high zu werden? Dazu hatte der Professor auch nach intensiver Recherche keinerlei Informationen finden können. Marie Antoinette schien es auch nicht zu wissen, futterte einen Keks nach dem anderen und stieß schließlich ihr Maul vor, um den nächsten Keks aus der Blechdose zu angeln. Dabei war sie so stürmisch, dass sie den Professor umstieß, der keine besondere Kompetenz im Stürzen besaß.
    Er fiel wie ein Brett.
    Immerhin brachte er es fertig, die Hände hinter den Kopf zu bekommen, um den Aufprall ein wenig abzudämpfen.
    In einer Hand befand sich jedoch die blecherne Keksdose.
    Sie war stabil und hielt das Gewicht von viel Gebäck aus, doch keinen professoralen Hinterkopf. Einige Kekse wurden beim Aufprall geradezu pulverisiert.
    Kleine Schläge auf den Hinterkopf erhöhen das Denkvermögen, weiß der Volksmund. Professor Dr. Dr. Adalbert Bietigheim erlitt in diesem Moment einen schweren Schlag. Doch als er die nun eingedellte Dose aufhob und die zerstobenen Kekse darin sah, wusste er mit einem Mal, wer die Morde begangen hatte. Er wusste es ohne den geringsten Zweifel, er kannte das

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