Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor
alles in Erwartung der Ankunft der Könige und Königinnen der anderen Domänen.
»Gibt es nichts, bei dem ich helfen könnte?« hatte Grace die Baronesse gefragt.
Aryn hatte sie nur entsetzt angestarrt. »Grace! Du bist ein Gast und eine Dame von edler Geburt. Das wäre nicht richtig!«
»Wirklich nicht?«
Aryn hatte überzeugt genickt. »Angehörige des Königshauses helfen nicht«, hatte sie gesagt.
Grace hatte das mit einem Seufzen quittiert. »Nein, das tun sie wohl nicht.« Es wäre nicht langweilig genug. Aber sie hatte die Worte nicht ausgesprochen und nur gelächelt, als Aryn ihr die Hand gedrückt hatte und zur nächsten Arbeit losgeeilt war.
Auch König Boreas hatte ihr seit dem Morgen nach dem Bankett vor drei Tagen nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt. Der König hatte nach ihr geschickt, und Lord Alerain höchstpersönlich hatte ihr die Aufforderung gebracht. Sie hatte sich das erstbeste Gewand übergestreift und war durch die Korridore zu den Gemächern des Königs geeilt. Als sie endlich durch den Eingang stolperte, war ihr Gewand verrutscht, klebte ihr Haar an den feuchten Wangen, und sie schnappte nach Luft.
König Boreas registrierte ihren Aufzug mit einem wilden Blick. »Wie ich sehe, hat Euch Lord Alerain mitten bei Euren morgendlichen Übungen angetroffen.« Er nickte anerkennend. »Bei Vathris, gut für Euch, Mylady! Wie die Weisen sagen, ein schwacher Körper beherbergt einen schwachen Verstand.«
Grace nickte und sparte sich die Bemerkung, daß der Lauf durch das Schloß die größte körperliche Ertüchtigung gewesen war, die sie seit Monaten gehabt hatte. Sie betrachtete verstohlen Brust und Arme des Königs, die beide prächtig entwickelt waren. Welchen Sport er wohl betrieb? Vermutlich jonglierte er mit unbedeutenden Adligen.
»Und jetzt, Mylady«, sagte er und entblößte seine großen Zähne auf eine Weise, die man nicht unbedingt als Lächeln hätte bezeichnen können, »werdet Ihr mir alles erzählen, was Ihr gestern abend bei dem Bankett in Erfahrung bringen konntet.«
Eine Viertelstunde lang schritt der König vor dem schwarzen Hügel aus Bulldoggen, der neben dem Feuer lag, auf und ab, während Grace in der Mitte des Raumes stand – er hatte ihr keinen Platz angeboten – und von ihren Unterhaltungen mit den diversen Seneschallen und Beratern im Großen Saal berichtete. Als sie zum Schluß kam, stieß Boreas nur ein Grunzen aus, und in seinen blauen Augen funkelte Interesse, aber er würdigte ihren Bericht mit keinem Kommentar. Er spielte bloß mit nachdenklicher Miene mit dem Dolch in seiner Hand herum, als wollte er sich entscheiden, in wessen Herz er ihn zuerst rammen sollte. Schließlich bohrte sich die Spitze in die Tischplatte. Grace konnte den Blick nicht von der zitternden Klinge nehmen, die im Holz steckte. Die Bewegung war so schnell, so mühelos erfolgt, daß sie sie kaum hatte verfolgen können.
»Ihr dürft jetzt gehen, Mylady«, sagte Boreas.
Grace besaß noch genügend Geistesgegenwart, um zu wissen, daß es sich keinesfalls um eine Bitte gehandelt hatte. Sie setzte zu einem Hofknicks an, beherrschte sich aber rechtzeitig und nickte bloß. »Ich werde alles so gut weiterverfolgen, wie ich kann, Euer Majestät.«
»Ja«, antwortete er, »das werdet Ihr.«
Danach war sie ihre Audienz mit dem König noch einmal in Gedanken durchgegangen. So ungern sie es auch zugab, Boreas' Benehmen hatte den Funken ihres Verdachts nur noch weiter angefacht. Warum war er so darauf versessen, die Domänen zum Krieg antreten zu lassen? Lady Kyrene zufolge war Boreas Anhänger der Mysterien von Vathris. Grace hatte keine genaue Vorstellung davon, worum es bei einem Mysterienkult eigentlich ging, aber es war offensichtlich, daß es sich bei Vathris um eine Art Kriegsgott handelte. Vielleicht suchte Boreas nur nach einer Entschuldigung, um eine der anderen Domänen zu erobern, entweder zur persönlichen Bereicherung oder zur Ehre seines Gottes.
Grace zog kurz in Betracht, Aryn von ihren Befürchtungen zu berichten, aber dann fiel ihr wieder die Loyalität der Baronesse ein, und sie überlegte es sich anders. Es war sinnlos, Aryn aufzuregen. Wenn – und falls – sie mehr darüber in Erfahrung brachte, konnte sie es der Baronesse immer noch sagen.
Nicht, daß das sehr wahrscheinlich erschien. Im Verlauf der letzten drei Tage hatte sie kaum Gelegenheit gefunden, mit den anderen Adligen zu sprechen. Alle waren viel zu sehr mit den Vorbereitungen für die Ankunft ihrer
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