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Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor

Titel: Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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seine violetten Augen leuchteten im Halbdunkel, und als Grace es erblickte, verharrte sie mitten in der Bewegung. Das Mädchen schien nicht älter als acht oder neun Jahre alt zu sein. Es stand schweigend neben der schmalen, geisterhaften Ruine einer Espe auf der einen Seite des Pfades, die kleinen Hände ordentlich gefaltet, die Finger so weich und rosig wie die Blätter einer geschlossenen Rose. Komm her zu mir, glaubte Grace die Kleine flüstern zu hören, obwohl das völlig unmöglich war. Trotzdem bewegte sie sich auf das Mädchen zu, folgte der instinktiven Macht, die Kinder manchmal über Erwachsene haben. Einen Augenblick später stand sie vor dem Mädchen.
    »Ich habe mich nicht verirrt«, sagte das Mädchen mit klarer Stimme.
    Grace schloß abrupt den Mund, denn genau diese Frage hatte sie stellen wollen. Sie blickte erstaunt auf das Mädchen hinunter, dann überkam sie ein Schaudern. Das Kind hatte etwas Außergewöhnliches an sich, etwas Trauriges, Wissendes und sogar Uraltes. Sofort hatte Grace das Gefühl, daß sie diejenige war, die sich verirrt hatte. Die nackten Äste der Espe sangen im Wind ein trauriges Lied.
    »Wer bist du?« fragte Grace. Das war alles, was ihr im Augenblick einfiel.
    Ein hübsches Stirnrunzeln legte die Stirn des Mädchens in Falten. »Wer bist du? Ich glaube, das ist eine viel bessere Frage.«
    Grace schüttelte den Kopf, unsicher, was sie darauf erwidern sollte. Die Welt war verstummt. Sie konnte keinen Verkehr hören, keine Sirenen, keine am Himmel in der Warteschleife kreisenden Flugzeuge. Es war, als wäre die Stadt in der Nacht verschwunden. Der sichelförmige Mond hing am Himmel, obwohl sie sich nicht erinnern konnte, ihn aufgehen gesehen zu haben. Der Wind hielt den Atem an.
    Die Augen des Mädchens reflektierten das Mondlicht. »Eine Finsternis kommt«, flüsterte es.
    Grace starrte das Mädchen verständnislos an, dann zerriß eine schrille Melodie die Stille. Nach einer verwirrten Sekunde erkannte Grace, was das war. Ihr Pieper. Sie tastete nach dem kleinen, an ihrem Gürtel befestigten Gerät, ergriff es mit tauben Fingern und warf einen Blick auf das kleine Display aus Flüssigkristallen.
    »Verdammt«, sagte sie. »Man braucht mich im Krankenhaus.« Sie sah auf. »Ich muß …«
    Ihre Worte verklangen. Das Mädchen war weg. Sie fuhr herum und schaute in die dunkler werdende Nacht, aber dabei hatte sie eigentlich keine Hoffnung, das Mädchen zu finden, und so war es dann auch.

10
    Fünfzehn Minuten später schoß Grace durch den Eingang der Notaufnahme des Denver Memorial. Einen kurzen Augenblick lang lehnte sie sich an eine Wand, die Augen fest zusammengekniffen, den Mund weit aufgerissen, und schnappte nach Luft. Sie hatte die zehn Blocks vom City Park im Laufschritt absolviert, und jetzt fühlten sich ihre Lungen an, als hätte sie zu den Opfern des Wohnhausbrandes vom Nachmittag gehört und Qualm eingeatmet. Die langen Stunden eines Assistenzarztes im letzten Jahr ließen nur wenig Zeit für sportliche Aktivitäten, und obwohl Grace schlank – vielleicht sogar zu schlank – war, befand sie sich nicht in ihrem körperlichen Bestzustand. Sie holte noch einmal tief Luft und öffnete die Augen.
    Die Notaufnahme hatte sich in ein Irrenhaus verwandelt.
    Vor dem Empfangstresen stritt sich ein Mann mit seiner Ehefrau und hielt dabei die Tranchiergabel fest, die sie ihm in die Seite gerammt hatte. In einem der Korridore brüllten sich ein paar Gangmitglieder Beleidigungen und Todesandrohungen zu, während sich ein verängstigter Praktikumsarzt darum bemühte, ihre Stichwunden zu verbinden. Ein graugesichtiger Mann stolperte durch die Tür, fragte nach einem Arzt und erbrach sich dann mitten auf den Boden. Jeder Stuhl des Wartezimmers war besetzt mit Leuten, die sich gebrochene Knochen hielten, schweißüberströmt fieberten oder nach Atem rangen. Über allem erhob sich wie ein mißtönender Chor kranker Engel das Weinen von Kindern.
    Grace sammelte ihre Willenskraft, bahnte sich durch die Masse der Verletzten einen Weg zu einem der Schwesterntische und griff sich ein paar sterile Handschuhe; die Gummiränder schnellten mit einem deutlich hörbaren Klatschen gegen ihre Handgelenke, als sie sie sich gekonnt überstreifte.
    »Grace, wo zum Teufel haben Sie gesteckt? Ich piepe Sie dreimal an, und Sie brauchen trotzdem dreißig Minuten, bis Sie hier sind?«
    »Fünfzehn«, murmelte sie. Sie drehte sich um und starrte in das wütende Gesicht Morty Underwoods, des

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