Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor
dargebotene Hand. Statt Verlegenheit über die Abfuhr zu zeigen, führte Farr geschickt die Bewegung fort, griff in die Brusttasche seiner Anzugjacke und zog ein goldenes Zigarettenetui hervor, ganz so, als hätte er die ganze Zeit nichts anderes im Sinn gehabt. Er bat mit einem fragenden Blick um ihre Erlaubnis, und als sie nicht protestierte, nahm er eine filterlose Zigarette heraus und hielt ihr Ende an eine Flamme, die aus der Seite des Etuis hervorsprang. Dichter Tabakrauch kräuselte sich in die Höhe und vermengte sich mit dem Dunst, der bereits in der Luft hing. Der Mann namens Farr setzte sich auf eine Ecke des Schreibtischs und musterte Grace. Was konnte er nur von ihr wollen?
»Ich will gar nichts von Ihnen«, sagte er. »Aber nachdem Sie gehört haben, was ich Ihnen zu sagen habe, werden Sie möglicherweise etwas von mir wollen. Darum bin ich Ihnen hierher gefolgt.«
Grace verschränkte die Arme vor der Brust und schenkte ihm einen skeptischen Blick. Der Mann war seltsam, erschien aber nicht besonders bedrohlich. Trotz des gebildeten Eindrucks, den er vermittelte – was, wie sie langsam vermutete, eine seiner Affektiertheiten war –, hielt sie ihn für den Reporter irgendeines Revolverblattes, das auf die Geschichte des Mannes mit dem Eisenherzen scharf war. Der Detective würde jeden Augenblick zurückkehren, also konnte kein allzu großes Risiko darin liegen, Farr gewähren zu lassen. Grace bedeutete ihm, fortzufahren.
»Ich gehöre einer internationalen Organisation an«, sagte Farr nach einem Zug an der Zigarette. »Der Name spielt im Moment keine Rolle, es genügt, wenn Sie wissen, daß es sich um eine Organisation handelt, die – wie soll ich mich ausdrücken – ungewöhnliche Dinge erforscht.«
»Dinge wie Menschen mit Herzen aus Eisen?«
Falls Farr die Ironie in ihrem Tonfall bemerkte, ließ er es sich nicht anmerken. »Ja, genau solche Dinge. Und andere. Wir interessieren uns für alle möglichen Arten von seltsamen Gegenständen und Geschehnissen, die, könnte man sagen, über einen gewissen übernatürlichen Charakter verfügen. Das heißt, sie liegen jenseits der Welt des Gewöhnlichen und Alltäglichen. Es ist die Aufgabe meiner Organisation, solche Fälle zu entdecken, zu untersuchen und zu katalogisieren.« Er machte einen weiteren Zug an seiner Zigarette. »Wir sind Gelehrte, müssen Sie wissen.«
»Und die Verbindung zwischen all dem und mir ist …«
»Oh, da gibt es eine offensichtliche Verbindung«, sagte Farr. »Wir versuchen oft, Leute zu interviewen, die Begegnungen mit dem Ungewöhnlichen hatten. Aber hier gibt es einen dringenderen Grund.« Er drückte die Zigarette zwischen den Stummeln in dem billigen Keramikaschenbecher aus und beugte sich vor. »Ich erwähnte es schon, aber erlauben Sie mir, mich zu wiederholen. Sie sind hier in Gefahr, Dr. Beckett.«
Grace fröstelte. In Farrs Augen flackerte eine grimmige Intensität, und es fiel Grace plötzlich sehr schwer, seinen Worten keinen Glauben zu schenken.
»Wieso?« Das war alles, was sie herausbrachte.
»Der Mann, den Sie im Krankenhaus erschossen haben, war nicht der einzige seiner Art, Dr. Beckett«, sagte Farr mit gedämpfter Stimme. »Meine Organisation weiß schon eine Zeitlang über sie Bescheid, und wir haben sie studiert. Allerdings ist es uns bis jetzt noch nicht gelungen, direkten Kontakt aufzunehmen, darum wissen wir kaum etwas über ihre Herkunft oder ihre Aufgabe. Aber ich glaube, es dürfte Sie interessieren, daß Ihr Freund, der Detective, einer von ihnen ist.«
»Er ist einer von ihnen?«
»Ja, Dr. Beckett, Janson ist ein Eisenherz.«
Grace schüttelte in stummem Unglauben den Kopf. Es war unmöglich. Das mußte es sein. Janson erschien so farblos, so langweilig, so … normal. Wie konnte er einer von ihnen sein?
Farr gab ihr keine Gelegenheit zur Erwiderung. »Da ist noch mehr, das Sie wissen sollten. Es kann ein Zufall gewesen sein, der Sie mit dem Eisenherz im Krankenhaus in Kontakt gebracht hat. Andererseits neige ich zu der Auffassung, das in Frage zu stellen. Ungeachtet dessen ist Detective Jansons derzeitiges Interesse an Ihnen alles andere als ein Zufall. Sie müssen wissen, es ist Ihre Halskette.«
Grace griff nach dem Anhänger um ihren Hals. »Meine Kette? Was hat denn meine Kette damit zu tun?«
»Vermutlich eine ganze Menge.« Farr streckte die Hand aus und löste Graces Finger von dem Anhänger. Er fuhr mit der Fingerspitze über die Gravuren. »Wie ich schon sagte, wissen
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