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Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor

Titel: Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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Umständen hätte sie sich eine junge, attraktive, aus einem High-School-Jahrbuch entsprungene Version von Detective Janson vorstellen können. Aber die vergangenen fünfundzwanzig Jahre hatten doppelt so viele Extrapfunde mit sich gebracht, zusammen mit dünner werdendem Haar und Ringen unter den kleinen Augen. Ein schiefer Schnurrbart umrahmte einen schmalen Mund, Bartstoppeln bedeckten seine Wangen wie eine Schicht Sand.
    Er hielt einen Bleistift in den dicken Fingern und hakte mit gelangweilter Gründlichkeit Punkte von seiner Liste ab. Grace reagierte mit wohlüberlegten Worten. Nein, sie hatte den Verdächtigen noch nie zuvor in der Notaufnahme gesehen. Ja, sie war davon überzeugt gewesen, daß das Leben der alten Frau im Rollstuhl in Gefahr gewesen war. Nein, sie hatte den Verdächtigen nicht aufgefordert stehenzubleiben, bevor sie ihn erschoß. Ja, sie hatte genau vier Schüsse auf ihn abgegeben. Ja, sie würde es wieder tun, wenn sie müßte.
    Schließlich legte Detective Janson seinen Block zur Seite. »Vielen Dank, Dr. Beckett. Ich glaube, das reicht.« Er erhob sich, nahm das Pistolenhalfter von der Rückenlehne seines Stuhls und streifte es sich über die Schultern. »Ich muß kurz mit meinem Vorgesetzten darüber sprechen, aber ich glaube nicht, daß wir eine Verhaftung vornehmen werden, zumindest nicht im Augenblick.«
    Grace kommentierte dies mit einem fahrigen Nicken und verspürte einen Ruck der Erleichterung. Vielleicht war diese Nacht endlich vorüber.
    Janson versprach, in einer Minute wieder dazusein. Er zog hinter sich die Tür zu. Das Schloß klickte laut, als der Schlüssel umgedreht wurde, gefolgt von dem sich entfernenden Laut schwerer Schritte. Grace warf einen Blick auf die Uhr an der Wand. Fast Mitternacht. Es waren nur sechs Stunden gewesen. Sechs kurze Stunden, seit sie im Park dem seltsamen Mädchen begegnet war. Sechs kleine Erhebungen auf dem Zifferblatt der Uhr, mehr nicht. Sie fragte sich, wo sie hingehen sollte, wenn die Polizei sie entließ. Nicht zurück in die Notaufnahme. Mit dem Wissen, über das sie jetzt verfügte – mit dem neu erwachten Bewußtsein, welche Geschöpfe auf Erden wandelten –, war es ihr unmöglich, jemals wieder in dieser sicheren Beschäftigung aufzugehen, die ihr Leben gewesen war. Wissen war gefährlich, es veränderte alles.
    Das Türschloß klapperte. Grace sah auf. Sie hätte nicht erwartet, daß Janson so schnell zurück sein würde, darüber hinaus hatte sie seine Schritte nicht gehört. Das Schloß klapperte noch immer, als hätte der Detective Schwierigkeiten mit dem Schlüssel, dann schnappte der Riegel zurück. Die Tür öffnete und schloß sich, als ein Mann das Büro betrat. Es war nicht Detective Douglas L. Janson.
    Überrascht erkannte Grace den dunkelhaarigen Mann. Es war der Mann, der sie im Krankenhaus aus der Ferne beobachtet hatte, kurz nachdem der Mann mit dem Eisenherzen gestorben war. Nachdem er das erste Mal gestorben war, korrigierte sie sich. Grace machte alarmiert Anstalten, sich von dem Stuhl zu erheben, aber der Fremde hob die Hand, um sie aufzuhalten. Sie vermochte nicht zu sagen, warum das so war, aber irgendein Instinkt verriet ihr, daß dieser Mann zwar bestimmt gefährlich sein konnte, er aber nicht ihr Feind war. Sie ließ sich zurück auf den Stuhl sinken.
    »Wer sind Sie?« fragte sie, von der eigenen Ruhe überrascht.
    »Ein Freund«, antwortete er.
    Der Mann trat von der Tür weg und steckte einen dünnen Draht in eine seiner Taschen. Er war groß, vermutlich Mitte Dreißig. Der maßgeschneiderte Anzug war von europäischem Schnitt, und sein Gesicht ließ Grace an die Büste eines römischen Generals denken: lockiges Haar, stolze Nase, volle und sinnliche Lippen. Er sprach mit einer kultivierten Stimme, aus der eine teure Schulbildung so gut wie alle Spuren eines unbestimmbaren Akzents getilgt hatte.
    »Sie sind hier in Gefahr«, sagte der Mann ernst.
    Grace seufzte und dachte an das Mädchen im Park. Für heute hatte sie genug geheimnisvolle Warnungen erhalten. »Ich fürchte, ich nehme keine mysteriösen Warnungen von Fremden mehr an.«
    Ein kaum wahrnehmbares Lächeln umspielte seine Lippen. »Ich muß mich entschuldigen, Dr. Beckett. In meiner Eile, Sie zu warnen, habe ich versäumt, mich Ihnen vorzustellen. Ein bedauerliches Versehen. Ich hoffe, es hat bei Ihnen kein wie auch immer geartetes Mißtrauen gesät.« Er streckte die Hand aus. »Mein Name ist Farr. Hadrian Farr.«
    Grace ignorierte die

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