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Die letzte Rune 02 - Der fahle Könige

Titel: Die letzte Rune 02 - Der fahle Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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riesige, obsidianschwarze Augen. Jetzt konnte ihn keine Schatulle aus Eisen mehr beschützen.
    Furcht bringt eine seltsame Klarheit mit sich, und Travis wurde beinahe ganz ruhig, als die Phantomschatten näherkamen. Sein ständiges Weglaufen, das ewige Verstecken, das Vergessen, das alles hatte nun ein Ende. Nun würde er sich nicht mehr entscheiden müssen, was er mit seinem Leben anfangen wollte oder was sein sollte. Diese letzte Entscheidung würde man für ihn treffen. Er holte die Schatulle hervor und hielt sie in beiden Händen.
    Er sah nicht nur, wie sie schneller wurden; er konnte es fühlen. Ihr Licht flackerte, als bebte es voller Erwartung. Sie drängten sich in den Korridor, angezogen von dem, was er in Händen hielt, und doch gleichzeitig von Ehrfurcht ergriffen, vielleicht sogar ängstlich. Er hielt ihnen die Schatulle hin.
    Hör auf damit, Travis!
    Es fiel ihm schwer, die Stimme durch das Brummen in seinem Schädel hindurch zu hören. Er hielt den Behälter höher.
    Du hörst sofort damit auf!
    Er zögerte. Jack?
    Bei Ysanis lieblichen Tränen, was glaubst du denn, wer ich bin?
    Travis zuckte trotz seiner Angst zusammen. Es war Jack, keine Frage.
    Du muß Sinfathisar benutzen, Travis.
    Er hielt die Schatulle umklammert. Den Stein? Aber genau den wollen sie doch haben.
    Ja, und der Stein ist deine einzige Hoffnung. Du mußt ihn dazu benutzen, um sie wieder zu dem zu machen, was sie einst waren.
    Ich verstehe nicht.
    Sie sind entstellt worden, Travis – entstellt und korrumpiert. Der Stein kann sie wieder zurückverwandeln. Das ist Sinfathisars Macht. Vor dem Licht und der Dunkelheit gab es das Zwielicht. Benutze den Stein. Heile sie.
    Aber …
    Jetzt sofort, Travis!
    Die Phantomschatten hatten ihn erreicht. Sie griffen mit schmalen Händen nach ihm, in der Absicht, ihn zu berühren. Es blieb keine Zeit mehr. Travis fummelte an dem Verschluß herum, öffnete den Behälter, hätte um ein Haar seinen Inhalt fallen gelassen und nahm den Stein des Zwielichts in die Hand. Er war hart und glatt, und die in ihm liegende Macht hallte in ihm wider.
    Die großen Augen der Phantomschatten wurden noch größer. Das schreckliche Licht um sie herum blitzte auf. Es durchdrang seine Haut, sein Fleisch, seine Knochen. Fahle Hände griffen nach ihm. Travis nahm den Stein und schrie in Gedanken die Worte.
    Heile sie!
    Der Laut war ihm vertraut; er hatte ihn zuvor schon in der Ruine des Weißen Turms gehört, ein Chor mundloser Schreie. Es war ein Laut des Schmerzes, ein Laut der Trauer, ein Laut der Befreiung. Das Licht der Phantomschatten loderte auf, bis es die Welt fortspülte. Travis schwebte an einem weißen Ort, einem Ort ohne Farbe, ohne Temperatur, ohne Materie. Nur ein rhythmisches Trommeln war zu hören, von dem er wußte, daß es sich um seinen Herzschlag handelte. Dann – wie bei der Filmaufnahme eines zersplitternden Fensters, die rückwärts lief – rasten die Splitter des Korridors – Wände, Boden und Decke – wieder aufeinander zu, und die Welt bestand wieder aus einem Ganzen.
    Travis fummelte an seiner Brille herum, seine Sicht klärte sich. Das schmerzhafte Licht der Phantomschatten war nicht länger zu sehen. Es war von einer sanften Helligkeit ersetzt worden, die an eine Wintersonne denken ließ, die zwischen den Zweigen blattloser Bäume hindurchschimmerte. Er holte erstaunt Luft.
    Die Phantomschatten waren verschwunden. Neun Wesen waren an ihre Stelle getreten, so wunderschön, wie die Fahlen schrecklich gewesen waren. Sie waren in federleichtes Tuch gekleidet, das wie ein Sternennebel schimmerte. Sie waren groß – größer als Travis – und von unmöglicher Schlankheit. Selbst in ihrer reglosen Haltung war ihre Anmut klar erkennbar. Ihre Gesichter waren nicht menschlich, trotzdem waren sie lieblich anzusehen: Das Kinn war fein geschnitten, die Wangenknochen hoch angesetzt, Mund und Nase klein. Die Augen, die Travis anblickten, waren groß, aber keineswegs so grotesk wie die der Phantomschatten. Statt dessen leuchteten sie wie dunkle, schimmernde Edelsteine. Es waren uralte Augen.
    Travis senkte den Stein. Er fühlte sich warm auf seiner Haut an. »Wer seid ihr?« flüsterte er.
    Die Wesen antworteten ihm nicht, trotzdem wußte er Bescheid, als hätten sie ihm eine Antwort gegeben. Die Magie des Fahlen Königs hatte sie zu Zerrbildern gemacht, und nun waren sie wieder in das zurückverwandelt worden, was sie einst gewesen waren.
    Das Feenvolk verbeugte sich vor ihm. Es erschien

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