Die letzte Rune 02 - Der fahle Könige
von Malachor. Dreh es, Aryn. Hol dir Hilfe dazu. Sofort!
Grace verspürte noch mehr Verwirrung. Mit Worten funktionierte es nicht. Sie zeichnete in Gedanken ein Bild und schickte es der Baronesse über das Netz. Begreifen floß zurück.
Ich habe verstanden, Grace.
Sie hatten keine Zeit mehr. Logren drehte sich auf dem Absatz herum und bedachte sie mit einem lüsternen Blick. Grace wandte sich nicht ab und wich auch nicht zurück. Statt dessen schaute sie in das Antlitz des Bösen.
»Euer edler Ritter kann Euch nicht mehr retten, Hexe«, sagte er. »Keiner kann das.«
»Ihr irrt Euch, Logren.« Ihre Stimme war so kalt und scharf wie ein Skalpell.
Er runzelte beim Klang dieser Worte die Stirn, wollte etwas erwidern – und sein Kopf fuhr herum. Sein ganzer Körper wurde wie eine von einem launenhaften Puppenspieler kontrollierte Marionette herumgerissen, so daß er in den Saal blickte. Seine Füße rutschten über das Podium.
Auf der anderen Seite des Großen Saals standen Aryn und einige der Gäste neben dem Relikt von Malachor. Sie hatten den massiven Magnetsteinring in seiner Halterung gedreht; er stand nun senkrecht da. Grace warf einen Blick auf den Armreif. Der Talisman zeigte nicht länger auf Logren, sondern auf die leere Mitte des Artefakts.
»Nein!« sagte Logren.
Ein Schauder durchfuhr seinen Körper, seine Stiefel rutschten ein paar Zentimeter weiter über den Boden, als eine unentrinnbare Macht an ihm zog. Aus den Tiefen seiner Kehle stieg ein gurgelnder Laut empor, Blut rann ihm aus dem Mundwinkel.
Grace trat an seine Seite. Er sah sie aus dem Augenwinkel an und sprach in einem abgehackten Flüstern.
»Bitte, Mylady. Helft mir.«
Grace schaute in sein verzerrtes Gesicht und erkannte, daß sie Macht über das Böse hatte – und zwar nicht trotz des Leides, das sie erfahren hatte, sondern wegen ihm. Sie erwiderte seinen Blick.
»Ich fürchte, wir müssen operieren, Lord Logren.«
Seine Augen weiteten sich. Grace legte eine Hand gegen seinen Rücken und schob ihn zum Rand des Podiums. Logren schrie auf, und seine Arme breiteten sich aus wie die Schwingen eines Raben.
Dann schoß das Eisenherz explosionsartig aus seiner Brust und raste quer durch den Großen Saal auf die Mitte des Relikts zu.
44
Travis stapfte durch den jungfräulichen Schnee der Schattenkluft auf die messerscharfen Bergspitzen zu, die in der Nacht vor ihm aufragten.
Das Tal war still und kalt. Kein Windhauch wehte, die Luft war kristallklar und stach ihm in Nase und Lungen. Der einzige Laut kam von seinen abgestoßenen Cowboystiefeln, die die harte Kruste des Schnees durchbrachen. Die bittere Kälte schnitt durch seinen Nebelmantel und kroch in seine Brust, als wollte sie sein Herz anhalten. Selbst der Mond und die Sterne am dunklen Himmel schienen eingefroren zu sein.
Er vermochte nicht genau zu sagen, wie lange er gegangen war. Der Taubheit seiner Hände und den im Bart klebenden Eiskristallen nach zu urteilen, eine ganze Weile. Aber er hatte das Gefühl, daß die Zeit keine Rolle mehr spielte, nicht an diesem Ort. Dieser Moment würde so lange andauern wie nötig. Das klang zwar wie etwas, das Bruder Cy ihm gesagt hätte, aber er wußte, daß es stimmte. Das Tal wartete und beobachtete.
Die Berge ragten höher in den Himmel hinein und löschten weitere Sterne aus dem onyxfarbenen Firmament heraus. Wie weit er auch gekommen war, er war nun näher dran. Sehr viel näher. Das Runentor lag direkt vor ihm, eine gewaltige Fläche aus Eisen, so schwarz wie die Gipfel, zwischen denen es eingesetzt war. Mit jedem Schritt nahm das Tor mehr von seiner Sicht ein und verdrängte alles andere.
Mit steifem Nacken warf Travis einen Blick zurück über die Schulter. Er verfolgte die Spur seiner Fußabdrücke im vom Mond beschienenen Schnee. Es war schwer zu sagen, aber er glaubte an der Stelle, an der seine Fährte in der Nacht verschwand, ein kleines graues Rechteck ausmachen zu können. Das Tor zurück ins Schloß? Vielleicht. Doch noch während er hinsah, verschwand der Lichtschein. Falls es die Tür gewesen war, dann war sie jetzt verschwunden. Aber das war nicht von Bedeutung. Für Travis war nur noch ein Portal wichtig, und das lag vor ihm.
Nicht, daß er wußte, was er zu tun hatte, wenn er es erreichte.
Das Runentor wird sich öffnen. Nur du allein kannst es schließen, Runenmeister.
Dummerweise hatte er nicht die geringste Vorstellung von dem, was er tun mußte, um die Öffnung des Tores zu verhindern, und die Alte
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