Die letzte Rune 02 - Der fahle Könige
kleine Fußabdrücke im Schnee gesehen hatte, woraufhin sie in ihrem Gemach, auf ihrem Kissen …
Grace nahm mit zwei Fingern den Immergrünzweig von ihrem Schoß. »Eine Dienerin, die ich traf. Sie behauptete, das Kleine Volk sei im Schloß … Ich dachte, daß sie irgendwie …« Sie blickte Falken an. »Aber das ist zu albern, oder? Sie hätten die Leiche nicht nehmen können, oder? Das Kleine Volk?«
Weder Falken noch Melia sagten etwas.
Beltan sah von einem zum anderen und stöhnte. »Das ist doch lächerlich! Ich mag auch gern Geschichten, und ich glaube wahrscheinlich mehr, als gut für mich ist, aber sogar ich weiß, daß das Kleine Volk ein Märchen ist.«
Melia sah den Ritter scharf an. »Ein Märchen wie Phantomschatten und Feydrim?«
Der blonde Ritter blinzelte, machte den Mund auf, überlegte es sich dann offensichtlich aber anders. Er zog sich in eine Ecke des Raumes zurück.
»Es mag mehr Wahrheit in den Worten von Lady Grace liegen, als sie ahnt«, sagte Falken.
Grace packte ihren Pokal fester, um den Wein nicht zu verschütten. »Wie meint Ihr das?«
Falken strich sich mit einer Hand übers Kinn – der mit dem schwarzen Handschuh. »Die Feydrim sind Ungeheuer, das habt Ihr selbst gesehen, aber das waren sie nicht immer. Einst gehörten sie zum Kleinen Volk. Sie waren Gnome und Wesen aus dem Grün, Zwerge und Feen. Die Kinder der Alten Götter waren seltsame Geschöpfe. Sie konnten so häßlich sein, wie sie schön waren, und ihre Scherze waren oft grausam. Aber sie waren nicht böse. Bis der Fahle König ein paar von ihnen gefangen nahm und seine Nekromanten sie für ihre eigenen Zwecke pervertierten.«
»Der Fahle König?«
Falken ging näher an das Feuer. Scharlachrotes Licht flackerte auf seinem Gesicht. »Vor tausend Jahren kam der Fahle König aus Imbrifale geritten, gefolgt von einer Armee aus Feydrim, und eroberte fast ganz Falengarth. Das Gefängnis, das ihn hält, wird in letzter Zeit schwächer. Das ist es, was ich dem Rat der Könige berichten will.«
Grace hob den Zweig an ihre Nase und roch den wilden Waldgeruch. Ihre Gedanken wurden ein wenig klarer. »Ihr sagt also, daß der Feydrim ein Sklave des Fahlen Königs ist. Doch warum sollte der Fahle König einen seiner Diener schicken, um … um mich zu töten?«
Melia antwortete ihr. »Die Domänen haben nur eine Chance gegen den Fahlen König, wenn sie zusammenstehen. Falls er denn geritten kommt. Ich könnte mir vorstellen, daß ihm nichts lieber wäre, als wenn sich die Domänen zerstritten. Scheinbar erhofft sich König Boreas, daß das Wissen, das Ihr für ihn ansammelt, ihm dabei helfen wird, den Rat zu einigen, um den Kriegszustand auszurufen. Und genau das darf der Fahle König nicht zulassen.«
Nein, das genügte ihr nicht. Grace verschränkte die Arme vor der Brust. »Aber woher wußte es … wußte er, wo er mich finden würde?«
Beltan griff nach dem Schwert. »Das würde ich auch gern wissen. Es gibt in keiner Domäne eine festere Burg als Calavere. Es gefällt mir nicht, wie einfach diese Bestie hier eindringen konnte.«
Ein Schauder durchfuhr Grace. Es gab soviel herauszufinden, und sie brauchte Hilfe. Sie sah zu Travis herüber. »Ich hatte gehofft … solange der Rat tagt, könnten wir beide vielleicht …«
Er setzte zu einem Nicken an.
»Ach!« Aryn legte bestürzt die gesunde Hand auf ihre Wange. »Das habe ich ja vollkommen vergessen. Grace, du mußt dich fertig machen. Deswegen bin ich überhaupt gekommen. König Boreas wünscht deine Anwesenheit beim Rat der Könige.«
Sie blickte Aryn verständnislos an. »Aber ich wollte mit Travis …« Es nutzte nichts. Sie blickte wieder in Travis’ Richtung, aber er hatte sich bereits umgedreht und war durch die Tür gegangen.
»Ich bin gleich soweit«, war alles, was ihr zu sagen blieb.
8
Travis sah sich in dem mit Lords und Ladys angefüllten Ratsgemach um und fühlte sich völlig fehl am Platz.
Er hatte auch gar nicht damit gerechnet, hier zu sein. Als sie Graces Zimmer verlassen hatten, hatten Melia und Falken ihn keines Blickes gewürdigt. Sie hatten zweifellos für den Rat Vorbereitungen zu treffen. Vorbereitungen, in denen er keine Rolle spielte. Er hatte gerade in Richtung seines Gemachs gehen wollen, als ihn eine große Hand auf der Schulter aufgehalten hatte.
»Komm, Travis«, hatte Beltan gesagt. »Zum Rat geht es hier entlang.«
Er war zu verblüfft gewesen, um zu widersprechen, und war dem blonden Ritter durch das Schloß
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