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Die letzte Rune 02 - Der fahle Könige

Titel: Die letzte Rune 02 - Der fahle Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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wie die wachsenden Pflanzen im Garten haben.
    Aber du weißt doch, daß das nicht stimmt, Grace. Ein Skalpell kann ein Eigenleben haben, genau wie ein Dolch.
    Sie bückte sich und berührte das Messer in ihrem Stiefel. Ihre Finger strichen über den glatten Griff …
     … und wurden zurückgezogen. Es gab eine andere, eine geheimnisvollere Klinge, die sie berühren konnte. Sie stand auf, ging zum Stuhl am Feuer und griff unter das Kissen, wo sie sie versteckt hatte. Mit zitternden Händen wickelte sie den Stoff ab und enthüllte den Dolch.
    »Das ist verrückt, Grace.«
    Noch während sie das sagte, setzte sie sich auf den Stuhl und legte den Dolch auf ihren Schoß. Auf dem violetten Stoff ihres Gewandes sah er wie eine Schlange aus, glatt und gefährlich. Im Garten hatte sie soviel über die Dinge gelernt, die sie mit der Gabe berührt hatte. Was konnte sie von diesem Gegenstand erfahren? Wessen Hand damit eine Rune in die Tür geschnitzt hatte?
    Grace starrte den Dolch an und dachte an Kyrenes Worte. Sie atmete tief durch. Dann streckte sie ihre geistigen Fühler aus …
     … und berührte den Dolch.
    Kalt. Es war so kalt. Sie konnte nicht atmen, konnte nichts fühlen. Nur einen eisigen Wind, der durch ihr Inneres wehte. So muß sich der Tod anfühlen. Sie öffnete die Augen.
    Das Schloß verschwand in der Ferne und verblaßte im blauen Dämmerlicht. Schneebedeckte Felder und Steinmauern zogen unter ihr dahin. Sie flog durch das frostige Zwielicht über die Winterlandschaft Calavans. Pfade und Reitwege wanden und kreuzten sich unter ihr. Dörfer verschwanden so schnell, wie sie aufgetaucht waren. Weitere Felder rauschten vorbei, dann blitzte unter ihr etwas Schwarzes auf. Ein Steinbogen. Als ihr klar wurde, daß das die Brücke über den Dunkelwein war, war sie längst wieder verschwunden.
    Nun lag unter ihr nur noch schneebedecktes Brachland, das nicht von Steinmauern unterteilt wurde. Die Landschaft schimmerte im letzten Tageslicht und dem Schein der ersten Sterne. Sie erwartete, ihren eigenen Schatten über die Hügel und Täler gleiten zu sehen, aber da war nichts, und wie sollte es auch? Schließlich war ihr die ganze Zeit über bewußt, daß sie auf dem Stuhl am Feuer in ihrem Gemach auf Calavere saß.
    Wo fliege ich hin?
    In der Kälte formte sich der Gedanke nur schwerfällig, und als sie ihn endlich formuliert hatte, schoß plötzlich eine undurchdringliche Barriere aus den Feldern empor. Der Rand des Dämmerwaldes. Die Bäume verschluckten das restliche Tageslicht, fingen es im Netz ihrer kahlen Äste ein und wollten es nicht wieder hergeben. Wurde sie in den Wald gebracht?
    Nein, der Boden kam auf sie zu. Sie sank, oder etwas zog sie hinab. Sie schwebte über einen zugeschneiten Hügel in ein enges Tal hinein, und dann sah sie es.
    Sie standen im Kreis, als wären sie während eines ausgelassenen Tanzes plötzlich erstarrt. Neun Steinsäulen. Jede von ihnen so hoch wie zwei Männer und von der Zeit verwittert. Sie ragten schwarz und scharf in den Himmel hinein, und Grace hatte keine Zweifel daran, daß sie uralt waren. Vielleicht nicht so alt wie der Wald. Oder vielleicht doch. Ob die Steine selbst noch wußten, wer sie hier aufgestellt hatte?
    Sie flog näher an die Megalithen heran. Ein Kribbeln durchfuhr sie. Irgend etwas würde geschehen, etwas Wichtiges. Grace schwebte zwischen zwei Steinen vorbei und wußte sofort, daß sie am Ziel ihrer Reise angelangt war. Das hatte sie sehen sollen.
    Im Mittelpunkt des Kreises standen zwei Gestalten. Ihrer Reitkleidung nach zu urteilen, waren es beides Männer: Reithosen aus Leder, Wämser aus Wolle, dicke Umhänge. Einer von ihnen, der kleinere, hatte ihr den Rücken zugedreht, so daß sie sein Gesicht nicht sehen konnte. Der andere stand zwar in ihrer Richtung, aber die Kapuze seines Reitumhangs war tief heruntergezogen und hüllte sein Gesicht in Schatten. Hinter ihnen standen zwei Pferde am Rand des Kreises, deren Zügel an einem Dornenbusch festgebunden waren, der am Fuß eines der Steinsäulen wuchs. Am Horizont war die Mondsichel zu sehen – so scharf, blaß und gekrümmt wie ein Dolch.
    »Du kommst spät«, sagte der große Mann.
    Wäre ihr das möglich gewesen, hätte Grace aufgestöhnt. Sie hatte das Gefühl, daß er mit ihr gesprochen hatte. Aber nein, nun trat der andere Mann einen Schritt vor, wobei seine Stiefel auf dem gefrorenen Schnee knirschten. Der Mann mit der Kapuze hatte ihn gemeint.
    »Ich bin gekommen, sobald ich konnte«, sagte

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