Die letzte Rune 02 - Der fahle Könige
einen Dolch mit einem schwarzen Griff. Grace schwieg.
Ivalaines Gesicht war wie Stein. »Versucht nie wieder Dinge zu tun, die Kyrene Euch nicht beigebracht hat, Lady Grace.«
Worte waren überflüssig. Grace nickte steif.
»Komm, Tressa.« Ivalaine legte das Messer auf die Kommode.
Die rothaarige Frau warf noch einen letzten besorgten Blick auf Grace, bevor sie aufstand.
»Kümmert Euch um Lady Grace, Schwester«, sagte Ivalaine zu Aryn. »Euer Unterricht ist für heute beendet. Ich denke, daß Ihr beide genug für einen Tag gelernt habt.«
Die Königin von Toloria drehte sich um und verließ, gefolgt von Tressa, das Gemach. Sobald sie die Tür hinter sich geschlossen hatten, kniete Aryn neben dem Sessel nieder und massierte Grace die Hände.
»Du bist ja eiskalt! Was ist mit dir geschehen, Grace? Als wir dich gefunden haben, schienst du ganz weit weg zu sein.«
Grace öffnete den Mund, aber sie brachte kein Wort hervor. Sie konnte nur zittern und hoffen, daß das Feuer sie auftauen würde, bevor es sie bei lebendigem Leib verbrannte.
20
Travis legte die Tafel und den Griffel aus den verkrampften Fingern. Die Tauben waren für die Nacht in das Gebälk hoch über ihm zurückgekehrt. Es war Zeit zu gehen.
Er ließ die Tafel da zurück, wo Rin sie finden würde – es lief viel besser, seit er sich mit dem jungen Runensprecher unterhalten hatte –, stieg dann die Leiter hinab und öffnete die Tür des Turms.
»Oh!« sagten sie beide gleichzeitig.
Sie hatte gerade ihre Hand gehoben, um an die Tür zu klopfen. Grace.
Sie faßte sich schnell wieder. »Travis, ich muß mit dir reden.«
Er war zu überrascht, um etwas zu sagen, und nickte nur.
Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Kann ich reinkommen?«
»Ach, entschuldige. Natürlich, bitte.«
Grace hastete hinein und sperrte den eisigen Wind aus. Sie warf die pelzgesäumte Kapuze ihres Umhangs zurück. Ihr Gesicht war von der Kälte kreideweiß, aber ihre Augen schimmerten wie üblich wie ein Sommerwald.
»Können wir hier sprechen, Travis?« Sie sah zu der hölzernen Decke hinauf.
Travis runzelte die Stirn. »Da oben sind nur Rin und Jemis, und sie könnten uns sowieso nicht hören. Sie sind ganz oben in der Dachkammer.«
Grace trat einen Schritt näher an ihn heran. »Gut, ich will nämlich nicht, daß irgend jemand anderes das hört.«
Als sie ihre Geschichte zu Ende erzählt hatte, war Travis genauso blaß wie sie.
Er atmete tief. »Ich glaube, wir brauchen Hilfe, Grace.«
Sie nickte. »Meinst du Melia und Falken?«
Travis dachte darüber nach, dann schüttelte er den Kopf. »Wir sollten sie da nicht mit reinziehen, zumindest jetzt noch nicht. Sie haben zuviel mit dem Rat zu tun. Schauen wir doch erst einmal, was wir herausfinden, dann können wir immer noch mit ihnen darüber sprechen.«
»An wen denkst du dann?«
Travis kraulte sich den rotbraunen Bart. Er sollte ihn wirklich bei Gelegenheit abrasieren. »Feuer bekämpft man am besten mit Feuer, nicht wahr? Wenn es eine Verschwörung im Schloß gibt, müssen wir vielleicht selbst eine Verschwörung anzetteln.«
»Worauf willst du hinaus, Travis?«
Er grinste sie an. »Komm mit, ich erkläre es dir unterwegs.«
Die Sonne war gerade untergegangen, als sie sich in Graces Gemach trafen. Das Zwielicht hatte seinen Purpurmantel über das Schloß geworfen, und durch das Fenster konnte man den Mond am Himmel leuchten sehen. Selbst in seinem letzten Viertel war er viel größer und heller als der Mond auf der Erde. Ob Travis wohl jemals den kleineren, entfernteren Himmelskörper wiedersehen würde?
»Was ist los, Grace?« fragte Aryn.
Die junge Baronesse stand am Fenster und hielt einen Pokal Wein in der linken Hand, ohne davon zu trinken. Ihr Blick streifte Travis, und es war klar, daß ihre Frage genausogut Was macht der denn hier, Grace? hätte lauten können.
Travis faßte seinen Pokal fester. Hör auf damit. Sie will nur wissen, worum es geht, das ist alles. Du bist in dieser Welt genauso wenig ein Diener, wie Grace eine Herzogin ist. Vielleicht solltest du endlich aufhören, dich wie einer zu benehmen, dann würden die Leute dich nicht ständig für einen halten.
»Natürlich ist irgend etwas schiefgegangen«, sagte Durge. Er klang beinahe zufrieden. »Lady Grace hätte uns nicht so dringend zusammengerufen, wenn dem nicht so wäre.«
Grace trat vor. »Aryn, Durge, Ihr erinnert Euch doch an Travis Wilder.«
Aryn schenkte ihm ein höfliches, nichtssagendes Nicken. Durge
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