Die letzte Rune 02 - Der fahle Könige
schließlich das fand, wonach sie suchten.
»Das war pures Glück«, sagte der Ritter. Er zeigte auf ein kleines Rechteck auf dem Plan.
Travis sah genau hin. Ja, das mußte der Lagerraum mit dem Rabensymbol auf der Tür sein, der erste, den Grace und er gefunden hatten. Der andere Raum war nicht weit von dem ersten entfernt gewesen, und schon bald hatten sie ihn auf dem Plan gefunden. Aber was sagte ihnen das alles?
Aryn holte tief Luft. »Beltan, holt doch bitte den Plan, den wir uns vor diesem hier angeschaut haben.«
Er gehorchte mit verblüfftem Gesichtsausdruck.
»Jetzt legt ihn über diesen Plan. Bitte.«
Travis begriff, worauf sie hinauswollte. Der nun oben liegende Plan zeigte die Etage, die sich unmittelbar über der mit den beiden leeren Räumen befand.
»Was ist, Aryn?« fragte Grace.
Die Baronesse zeigte mit zitternder Hand auf zwei Räume auf dem oberen Plan. »In diesem Gemach schläft König Persard. Und das ist König Sorrins Unterkunft.«
»Und die beiden Räume, die Lady Grace und Freisasse Travis gefunden haben, liegen direkt unter diesen Gemächern«, sagte Durge.
Travis verschob den oberen Plan. Es stimmte. Er schloß die Augen und sah wieder den Lüftungsschacht im Lagerraum und den alten Speiseaufzug in dem leeren Schlafgemach vor sich.
»So wollen sie es machen! So wollen sie an den König herankommen, den sie ermorden wollen.« Er zeigte auf den Plan. »Seht ihr diese Linien? Das sind Schächte, die zwischen den leeren Räumen und den Gemächern der Herrscher verlaufen.«
Beltan fluchte. »Wir müssen zu König Boreas gehen. Lady Graces Worten zufolge können sie jederzeit zuschlagen.«
Durge drehte sich vom Fenster weg. Er hatte in die Nacht hinausgeschaut. »Da wäre ich mir nicht so sicher«, sagte er.
Die anderen starrten ihn an.
»Lady Grace«, sagte er, »sagtet Ihr nicht, daß Ihr den Steinkreis in der Abenddämmerung gesehen habt? Und daß der Mond als Sichel am Himmel hing?«
»Ja«, sagte sie. »Es war sehr … eindrucksvoll.«
Durge gab den Blick auf das Fenster frei. Licht strömte durch das gewellte Glas und zeichnete ein Muster wie silbernes Wasser auf den Boden. Draußen näherte sich der Halbmond den Zinnen des Schlosses.
Grace ging ans Fenster. »Das verstehe ich nicht. Ich habe es ganz eindeutig gesehen. Der Mond war eine Sichel.«
»Und das wird er in fünf Tagen auch sein«, sagte Durge.
Sie schienen die Wahrheit alle gleichzeitig zu begreifen.
»Es ist noch gar nicht geschehen«, sagte Grace, als sie dem Fenster wieder den Rücken zukehrte. »Was ich beobachtet habe, die beiden Männer in dem Steinkreis. Es ist noch gar nicht geschehen.«
»Das gibt uns Zeit«, sagte Aryn. »Zeit, herauszufinden, was wirklich vor sich geht, bevor wir den König davon unterrichten.«
Beltan schien dieser Vorschlag nicht zu gefallen. »Ich finde immer noch, daß wir Boreas informieren sollten.«
Grace ging auf den Ritter zu. »Ihr seid der Neffe des Königs, Beltan.« Ihr Stimme war kühl und wissenschaftlich. »Wir können Euch nicht vorschreiben, was Ihr tun sollt. Aber bis jetzt wissen wir noch nicht, welche anderen Herrscher, Boreas eingeschlossen, von diesem Komplott bedroht sind. Ich finde, wir sollten erst mehr herausfinden, bevor wir irgend jemandem davon erzählen. Je weniger Leute davon momentan wissen, desto einfacher wird es für uns sein, mehr zu erfahren.« Sie sah zu Aryn herüber. »Und es gibt noch andere Gründe, König Boreas nicht zu erzählen, wie ich von dem Plan erfahren habe.«
Aryn nickte angespannt.
Beltan verschränkte die Arme und dachte über ihre Worte nach. Travis hielt den Atem an. Graces Gesicht war so ruhig, so sicher. Wie viele Patienten im Denver Memorial Hospital hatten wohl in dasselbe Gesicht gesehen, als sie ihnen gerade eine schlimme Diagnose mitteilte?
Beltan seufzte und ließ die Arme fallen. »Na gut. Ich werde Boreas nichts sagen, auch Falken und Melia nicht. Aber warum habe ich das Gefühl, daß mich all das in große Schwierigkeiten bringen wird?«
Die anderen zogen es vor, diese Frage zu ignorieren.
»Dann ist es abgemacht«, sagte Aryn. Sie lachte nervös und wirkte zugleich unsicher und aufgeregt. »Wir haben mit unserer eigenen Verschwörung begonnen.«
Durge pustete seine Schnurrbarthaare hoch. »Haben zünftige Verschwörungen nicht immer einen Namen?«
»Das stimmt.« Aryn nagte an ihrer Unterlippe. »Aber wie können wir uns nennen?«
»Wir müssen alle auf irgend etwas einen Eid ablegen«, sagte Beltan.
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