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Die letzte Rune 03 - Der Runensteinturm

Titel: Die letzte Rune 03 - Der Runensteinturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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Hawk verließ das Silver Palace Hotel, und ihre schwarzen Motorradstiefel riefen auf den Planken des Gehsteigs den dumpfen Trommelschlag von Kriegstrommeln hervor.
    Es war fast soweit.
    Sie warf sich die schwarze Lederjacke über die Schulter und musterte die leere Elk Street. Es war früh am Tag, der Himmel hatte die Farbe einer stumpfen Stahlschüssel. Aber die Kühle der Morgendämmerung ließ bereits nach. Im Augenblick fühlte sie sich in ihrem weißen Top und den schwarzen Jeans sehr wohl. In einer Stunde, höchstens zwei, würde sie schwitzen.
    Deirdre schob eine Hand in die Tasche und fühlte die kleine Karte, die sie in der vergangenen Nacht in ihrem Nachrichtenfach im Hotel gefunden hatte. Eile war gefragt. Trotzdem gönnte sie sich einen Augenblick und lehnte sich auf das Gehsteiggeländer und begrüßte den Tag. In der Eile und Hektik ihres Lebens vergaßen die Leute viel zu oft, für eine Minute innezuhalten und ein Gebet zu sagen oder über eine große Frage nachzusinnen. Oder sich einfach nur die Welt anzusehen. Aber ganz egal, wie dringlich die Dinge auch wurden, sie vergaß nie, sich einen Augenblick für sich selbst zu stehlen. Soweit es Deirdre betraf, konnte der Welt eine kleine Zeremonie nicht schaden.
    Sie schaute nach vorn und ließ zu, daß sie einen Augenblick einfach nur war. Henna hatte das Feuer aus der Tiefe ihres kurzgeschnittenen Haars zum Vorschein gebracht, und ihre einzige Konzession an Make-up war der schwarze Lidschatten, der ihre rauchgrünen Augen betonte. An einem Ohr baumelte ein Kreuz, am anderen ein Anker. In der Mulde ihrer Kehle ruhte eine gelbe Bärenkralle, die ihr ihr Urgroßvater an seinem Todestag gegeben hatte.
    Bär wird dir Stärke verleihen, meine Kleine. Vergiß ihn nicht, wenn du allein und voller Angst bist.
    Sie fuhr mit dem Finger über die Kralle und lächelte. In ihren Adern floß das Blut dreier Indianervölker, und sie konnte ihre Abstammung bis zu dem legendären Helden CuChulainn zurückverfolgen – zumindest hatte das ihre irische Großmutter behauptet. Aber sie stellte mehr dar, als ihre Herkunft ausmachte. Sie wurde durch den Ort definiert, an dem sie sich aufhielt, und dadurch, wo sie ihr Weg hinführte. Und sie hatte jetzt einen neuen Stamm.
    Deirdre trat auf die Straße; ihre Harley parkte um die Ecke. Es war angenehm, das Motorrad draußen stehenlassen zu können, ohne sich darum Sorgen machen zu müssen. Nicht wie in Paris oder Athen. Definitiv nicht wie in London. Sie schwang sich auf ihre Maschine, startete sie und lenkte sie auf die Straße, alles in einer nahtlosen Bewegung. Ein Helm wäre eine gute Idee gewesen; für gewöhnlich trug sie einen. Aber nicht hier, nicht heute. Heute mußte sie den Wind spüren, der mit seinen Fingern durch ihr Haar fuhr. Liebhaber waren schön und gut, ihre Liebkosungen süß, aber der Wind würde einen nie verlassen.
    Falsche Häuserfassaden rasten an ihr vorbei, dann lagen die Stadt hinter und nur noch die zweispurige Straße und die Berge vor ihr. Deirdre ließ die letzten Jahre Revue passieren. Seit ihrem letzten Aufenthalt in Castle City war sie viel gereist, und sie hatte große Wunder gesehen. Sie war durch die Katakomben unter dem Tower von London geschlichen. Sie hatte in der steinernen Gesellschaft der Wasserspeier von Notre-Dame meditiert. Sie war die Dschungelpyramiden von Tikal emporgeklettert, hatte klein und staunend unter der Kuppel der Hagia Sophia gestanden und in von Stille erfüllten ägyptischen Grüften in unsterbliche Augen geblickt.
    Doch trotz all der Dinge, die sie gesehen hatte, hatte nichts in ihr die gleiche Ehrfurcht hervorgerufen wie die Berge Colorados. Ihre Schönheit war nicht menschlich – limitiert und vergänglich, von sterblichen und unvollkommenen Händen geformt. Die Berge waren groß und uralt, und sie brauchten keine Menschen. Trotzdem gingen sie großzügig mit ihrer Pracht um. Auf all ihren Reisen war ihr kein Anblick begegnet, der ihr solche Lieder schenkte wie die Berge. Es war gut, wieder zurück zu sein, und wenn es auch nur für eine kurze Weile war.
    Deirdre fuhr ein Stück flache Straße entlang. Voraus wuchs ein rostiger Fleck schnell zu einem Wagen heran – einem mitgenommenen Volvo mit zerbeulten Stoßstangen. Im Inneren beugte sich der Schatten eines Fahrers über das Lenkrad. Als Deirdre sowohl Fahrer wie auch Wagen erkannte, waren sie schon lange vorbei. Sie warf einen Blick zurück über die Schulter. Der Volvo verringerte die Geschwindigkeit, dann

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