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Die letzte Rune 03 - Der Runensteinturm

Titel: Die letzte Rune 03 - Der Runensteinturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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geführt. Dort hatte sie körperlos zugesehen, wie Logren und Alerain den Mord an einem der am Rat der Könige teilnehmenden Herrscher geplant hatten. Es war eine erstaunliche Erfahrung gewesen, aber sie hätte sich um ein Haar darin verloren – wenn Ivalaine sie nicht zurückgerufen hätte.
    Sie schloß die Finger um die halbe Münze und blickte in das Herz der Kerzenflamme.
    Das ist sinnlos. Travis geht es gut. Du wirst ihn vermutlich irgendwo schlafend sehen, oder wie er eine Schüssel Frühstücksflocken ißt oder auf der Toilette sitzt. Viel wahrscheinlicher ist sogar, daß du gar nichts siehst. Du hast es nicht ein einziges Mal geschafft, die Weltenkraft zu berühren, ohne daß alles auseinanderfiel, nicht seit Garfs Tod. Wie kommst du nur darauf, daß du das schaffst?
    Weil sie wußte, daß sie es konnte, daß es anders war, daß die Berührung der Weltenkraft – das vibrierende Netz des Lebens, das sich selbst zwischen allem Lebendigem wob – im Moment außerhalb ihrer Reichweite lag. Aber das hier, ein lebloser Gegenstand, ein Ding aus kaltem, hartem, leblosem Metall – dies war etwas, das sie berühren konnte.
    Du solltest wenigstens Lirith sagen, was du vorhast.
    Aber sie stand nicht von dem Stuhl auf. Statt dessen schloß sie die Augen, ließ die Dunkelheit hinein und griff mit ihrem Bewußtsein nach der Münze. Diesmal spürte sie es – es war fast so wie ein Ruck, dem das feuchte Gefühl von etwas folgte, das sich teilte.
    Dann flog sie.
    Als sie sich weit genug gefaßt hatte, um in die Tiefe zu blicken, lag der Boden bereits weit unter ihr, eine wellenförmige, mit blauen Schattentönen bemalte Leinwand. Sie blickte zurück – wobei sie sich bewußt wurde, daß diese Handlung nur einen Gedanken erforderte und keine Bewegung – und konnte gerade noch Calavere vor dem Hintergrund der Sterne erkennen. Hier und da flackerte eine Fackel in der Nacht. Die Stadt am Fuß des Schloßhügels war nicht heller, und von den Dörfern, die in der Nähe lagen, war keine Spur zu entdecken. Die Dunkelheit war vollständig. Es war völlig anders, als mit einem Flugzeug bei Nacht den nordamerikanischen Kontinent zu überfliegen, wo man aus dem Fenster schauen und die Städte wie funkelnde Juwelen sehen konnte, die entlang der leuchtenden Schnüre der Autobahnen aufgereiht waren.
    Nur daß sie hier in keinem Flugzeug flog. In diesem Augenblick hockte ihr zusammengesunkener Körper auf einem Stuhl in ihrem Gemach in Calavere, während der Rest von ihr einem Ziel entgegenraste, das ihr unbekannt war.
    Unter ihr wand sich eine breite, schwarze Schlange, in deren Biegungen sich das schwache Mondlicht fing: der Fluß Dunkelwein. Grace dachte an ihre Geographiestunden am Kamin mit Aryn zurück. Floß der Dimduorn nicht östlich von Calavere in die Sümpfe Tolorias? Ja, sie konnte sich noch immer an die mit Holzkohle gezeichnete Karte erinnern, die Aryn gezeichnet hatte. Sobald er Toloria erreichte, wandte sich der Dimduorn nach Süden, und ein kleinerer Fluß verband sich mit ihm. Genau östlich des Zusammenflusses hatte Aryn einen Punkt gemalt: Ar-Tolor, der Sitz Königin Ivalaines von Toloria.
    Ar-Tolor? War das ihr Ziel?
    Sie zwang ihre Aufmerksamkeit nach unten, und in diesem Augenblick sah sie, wie der große Fluß eine scharfe Rechtskurve beschrieb. Mitten in der Krümmung floß ein anderer Fluß in den Dunkelwein, fast genauso, wie Aryn es aufgezeichnet hatte. Direkt dahinter erhob sich ein bleicher Umriß auf einem Hügel. Schlanke Türme wuchsen in den Himmel, und im Gegensatz zu Calavere tanzten auf allen sieben von ihnen Feuer. Also wagte es zumindest die Hexenkönigin, sich der Nacht entgegenzustemmen.
    Grace erwartete ihren Abstieg, aber statt dessen schien sie sich nur noch schneller zu bewegen. Ar-Tolor glitt unter ihr vorbei und war verschwunden. Land floß vorbei wie schlammiges Wasser. Dann stiegen gezackte Umrisse empor, nahmen einen unregelmäßigen Bissen aus dem sternenübersäten Himmel. Berge.
    Die Luft wurde heiß, bis sich Grace ausgetrocknet und spröde fühlte. Einen Augenblick später war es nicht länger Nacht; die Sonne brannte in einem Meer aus blutroten Wolken am Horizont. Die Morgendämmerung war hereingebrochen.
    Nein, das stimmte nicht. Die Sonne befand sich hinter ihr, im Westen. Vor ihr stieg ein rosiger Vollmond über die Berge. Also nicht Tagesanbruch, sondern Sonnenuntergang.
    Die Berggipfel waren nun ganz nah, und sie ging in den Sinkflug über. Am Fuß der Berge ragte eine

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