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Die letzte Rune 04 - Die Flammenfestung

Titel: Die letzte Rune 04 - Die Flammenfestung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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zahllosen weißen Narben in ein zerbrochenes Mosaik verwandelt worden war.
    Oragiens Stimme hallte leise über das Plateau. »Begreift Ihr, für welches Verbrechen Ihr bestraft werdet, Bruder Wilder?«
    Es war der Narbige, der antwortete, und seine Worte waren wie die Schläge einer Peitsche. »Er hat den Runenstein entehrt. Der Runenstein, das Herz unseres Turms und die Quelle all dessen, was wir sind. Seine Strafe ist entschieden.«
    Grace befeuchtete sich die Lippen. Sie mußte etwas tun. Aber was? Im Ärmel der Kutte hielt sie Olrigs Steinhand gepackt. Sie mußte wichtig sein – warum sonst hätte der junge Mann sie ihr geben sollen? Aber sie hatte nicht die geringste Vorstellung, was sie damit anstellen sollte, und ihr lief die Zeit davon. Auf der anderen Seite des Monolithen standen zwei Männer mit brennenden Fackeln bereit.
    Du mußt etwas sagen, Grace. Egal was. Es spielt keine Rolle – nur daß sie aufhören.
    Grace öffnete den Mund, aber Oragien kam ihr zuvor.
    »Habt Ihr noch etwas zu sagen?«
    Wieder antwortete der Narbige für Travis. »Er hat schon genug Lügen verbreitet.«
    Diesmal brachte Oragiens Blick ihn zum Schweigen.
    »Ich habe Euch nur die Wahrheit gesagt, Oragien.«
    Travis sah den Großmeister an. Er war totenbleich, das sandfarbene Haar war schweißfeucht, aber die grauen Augen hinter der Nickelbrille blickten ruhig und beherrscht. Der heiße Wind riß Grace ein Flüstern von den Lippen.
    »O Travis …«
    Oragien senkte den Kopf, und der Narbige machte ein heftiges Zeichen. Die Männer mit den Fackeln traten vor. Währenddessen trat der Narbige zurück. Seine Kutte verschmolz mit denen der anderen Runensprecher, und Grace verlor ihn aus den Augen. Sie konzentrierte sich wieder auf Travis. Fackeln kamen mit trockenem Holz in Berührung. Sekunden später stieg dichter Rauch in die Höhe.
    Jetzt, Grace. Schrei doch einfach nur. Schrei sie an, daß sie aufhören sollen.
    Aber das hier war nicht der Traumaraum in der Neuaufnahme. Es war auch nicht Schloß Calavere. Sie war weder Ärztin noch Herzogin. Keiner würde ihre Befehle befolgen.
    Travis hatte den Kopf von dem Rauch abgewendet, und jetzt schien er wie erstarrt zu sein. Was tat er? Dann sah sie, wie seine Lippen ein Wort formten, und sie wußte, was es war.
    Grace!
    Sie war schockiert. Also hatte er sie gesehen – nicht sie selbst, sondern ihre Visionsgestalt.
    Was bedeutet, daß du eigentlich gar nicht hier sein solltest, Grace.
    Dieser Gedanke erfüllte sie mit neuer Hoffnung. Also hatte sie doch nicht versagt. Noch konnte sie ihr Schicksal formen. Aber es blieben nur noch Sekunden. Travis versteifte sich vor Schmerzen. Er warf den Kopf zurück, und genau wie in der Vision brüllte er etwas aus vollem Halse.
    »Olrigs Hand wird mich retten!«
    Grace setzte sich in Bewegung, um sich auf den Scheiterhaufen zu werfen und falls notwendig die Flammen mit ihrem Körper zu löschen. Harte Finger gruben sich in ihre Arme und hielten sie fest.
    »Die Hand!« zischte ihr eine messerscharfe Stimme ins Ohr.
    Sie drehte sich um und starrte in zwei dunkle Augen, die tief in einem zerstörten Gesicht saßen.
    »Worauf wartet Ihr denn noch?« fauchte der Narbige. »Die Hand Olrigs – werft sie ihm zu! Die darin gebundene Rune der Runen wird die Macht des Nullsteins aufheben.«
    Einen erstarrten Augenblick lang starrte Grace ihn in stummer Verwirrung an. Dann blies plötzliches Begreifen die dumpfe Verwirrung, die ihren Verstand vernebelte, wie ein Windstoß fort. Olrigs Hand wird mich retten. Das war nicht die Bitte an einen Gott um Hilfe. Es waren Instruktionen. Sie zog die Steinhand aus dem Ärmel und warf sie in die Flammen zu Travis’ Füßen.
    Grace war nie der sportliche Typ gewesen, aber diesmal traf sie perfekt. Die Runensprecher sahen überrascht, wie dort, wo die Hand auf dem Holz landete, Funken aufstoben. Travis sah hinunter, ein wildes Grinsen gesellte sich zu dem Schmerz in seinem Gesicht, dann sprach er ein Wort – und zwar in genau dem Augenblick, in dem die Sonne hinter den westlichen Bergen versank.
    »Reth!«
    Das Feuer erlosch, ein Donnergrollen rollte über das Plateau. Dann glitt die Scheibe des aufgehenden Vollmondes über den Rand eines Steilhangs, und in ihrem kalten Licht bot sich Grace ein Anblick, der sie wie die Runensprecher aufstöhnen ließ.
    Travis trat von dem Stapel aus zur Hälfte verbrannten Holzscheiten fort; er zog die Seile, die ihn gefesselt hatten, hinter sich her. Sein Gesicht war

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