Die letzte Rune 04 - Die Flammenfestung
hallender Stimme.
»Beantwortet mir erst dies, dann sollt Ihr eine Antwort erhalten. Ein Geheimnis im Tausch für ein anderes. Mit welchem Namen dürfen wir Euch ansprechen, Altehrwürdiger?«
Der Drache stieß einen weiteren rauchigen Atemzug aus; in seinen farblosen Augen spiegelte sich der bleiche Himmel. »Du kennst also die Bräuche der Alten. Gut. Glaube aber ja nicht, daß das in mir Güte erzeugt, denn dazu bin ich nicht fähig.« Der Drache streckte den Hals in die Höhe, in einer, wie es den Anschein hatte, Geste des Stolzes. »Du darfst mich Sfithrisir nennen. Ihn, den man sieht und doch nicht sieht. Osthrasa war meine Mutter, aus der Brut von Agamar der Ersten, Königin des Meeres, das es vor dem Licht und der Dunkelheit gab und dessen Wellen an den Beginn und das Ende der Welt schlagen.«
Die Worte ließen Grace schaudern. Irgendwie fühlte sie sich nach ihnen leer. Tira wand sich in ihrem Griff, aber sie ließ die dünnen Schultern des Mädchens nicht los.
»Ich höre Eure Antwort«, sagte Falken, »und jetzt hört die meine. Man kennt mich unter dem Namen …«
Im ersten Augenblick hielt Grace das tiefe, grollende Geräusch für Donner. Aber ein Blick nach oben bestätigte ihr, daß kein Wölkchen am dunkler werdenden Himmel zu sehen war. Dann be griff sie. Es war kein Donner, es war Heiterkeit. Der Drache lachte.
Dichter Rauch quoll aus seinen Nasenlöchern. »Ich kenne deine Namen gut. Schwarzhand. Der Grimmige Barde. Wolkenbringer. Verräter, Flüchtling und Königsmörder. Sind das nicht deine Namen, Falken von Malachor?«
Der entsetzte Barde wurde totenblaß, und die behandschuhte Hand ballte sich zur Faust.
»Ich kenne euch alle«, fuhr der Drache fort und fixierte jeden mit seinem harten, unergründlichen Blick. »Ihr müßt wissen, es ist mein Handwerk, alles zu wissen, was ich in Erfahrung bringen kann. Und so, Falken Schwarzhand, schuldest du mir ein anderes Geheimnis. Und glaube ja nicht, du könntest mich in meinem eigenen Spiel schlagen.«
Falken starrte wie betäubt nach vorn. Noch nie zuvor hatte Grace erlebt, daß der Barde eine Situation falsch eingeschätzt hatte. Aber etwas verriet ihr, daß es nicht möglich sein würde, diese Kreatur in einem Disput zu schlagen. Sie würden Glück haben, wenn sie mit dem nackten Leben davonkamen. Und im Augenblick hatte sie sogar da ihre Zweifel.
»Es ist … seltsam, Euch hier anzutreffen, Sfithrisir«, sagte Melia. Die Lady hielt eine Hand an die Stirn; sie war ebenfalls blaß.
»Welch besseren Ort könnte es geben, um Geheimnisse zu erfahren, die mir bis jetzt noch verborgen blieben?« Der Drache schwang seinen keilförmigen Schädel in Melias Richtung. »Aber du drückst dich so merkwürdig aus, Lady des Mondes. Es ist für dich nicht seltsam, mich zu sehen. Vielmehr ist es sehr schmerzhaft, nicht wahr? Spürst du nicht, wie es dein Wesen in tausend Stücke zerreißt? Ich kann es genau sehen, wie eine billige Decke, die sich in ihre Bestandteile auflöst.«
Melia taumelte und wäre gefallen, hätten Lirith und Aryn, die hinter ihr standen, sie nicht gestützt. Das Kätzchen in ihrer Armbeuge fauchte, aber nach einem finsteren Blick des Drachen riß das kleine Geschöpf die Augen weit auf und verkroch sich in einer Falte des Überkleides seiner Herrin.
Der Schädel des Drachen fuhr herum, als wäre sein Hals eine Peitsche. »Und glaubt bloß nicht, daß eure Klingen mir etwas anhaben könnten, Ritter.«
Erst jetzt bemerkte Grace, daß sowohl Durge wie auch Beltan sich in Bewegung gesetzt und nach ihren Schwertern gegriffen hatten. Jetzt standen sie wie erstarrt da, vom Blick des Drachen an Ort und Stelle genagelt. »Wenn ihr den Tod wünscht, werde ich ihn euch nur allzugern bescheren. Tausend Ritter haben mich aufgespürt in dem Glauben, mich töten zu können. Eure Asche soll sich zu der ihren gesellen.« Der Drache holte tief Luft, seine Brust dehnte sich.
Lauft! wollte Grace schreien. Ihr müßt weglaufen!
Aber die Worte blieben ihr im Hals stecken. Muskeln traten wie Seilbündel aus Beltans Nacken hervor, Durges Auge zuckte, aber die Ritter verharrten bewegungslos. Der Drache nahm den Schädel zurück und öffnete den Rachen, um die ersten Rauchwölkchen zu entlassen. Dann schoß seine Schnauze auf die Ritter zu.
Ein schriller, wortloser Wutschrei hallte durch die Luft.
Bevor Grace überhaupt registrierte, was geschah, riß sich Tira aus ihrem wie gelähmten Griff los und rannte barfuß über die Steinscherben. Sie
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