Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die letzte Rune 05 - Der Tod der Götter

Titel: Die letzte Rune 05 - Der Tod der Götter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
Vom Netzwerk:
gekleidet, durch die Korridore von Ar-Tolor. Was konnte Schwester Tressa nur von ihr wollen? Vielleicht wollte sie über die Geschehnisse bei der Eröffnung des Hexenzirkels am vergangenen Abend sprechen.
    Es war nicht so verlaufen, wie Lirith gedacht hatte.
    Sie wusste, dass es unter den Hexen wachsenden Zwist gab. Viele Jahre waren vergangen, seit man Dorfvetteln, die Sias Namen angerufen hatten, verbrannt oder gesteinigt hatte – aber es war auch noch nicht so lange her, dass es in Vergessenheit geraten wäre. Einige Hexen wollten sich von diesen alten Vorstellungen distanzieren, was Lirith ihnen nicht einmal verdenken konnte. Doch die Vettel war ein Aspekt dessen, was die Hexen darstellten. Sie war alt und hässlich, aber sie war auch voller Weisheit und subtil in ihrer Macht. Falls sie sie verbannten, würden sie viel verlieren.
    Doch Lirith wusste, dass nicht alle diese Meinung teilten. Jedoch hätte sie niemals gedacht, dass ihre Vertreterinnen am ersten Abend des Hexenzirkels dies offen aussprechen würden. Und wer war diese blonde Hexe namens Liendra? Lirith hatte noch nie von ihr gehört, obwohl sie am vergangenen Abend ein paar getuschelte Gerüchte aufgeschnappt hatte – dass Liendra aus Borelga in Brelegond kam, wo sie erst vor wenigen Jahren zu den Hexen gestoßen war, dass sie die Tochter eines unbedeutenden Adelshauses und schnell in das Triumvirat des borelganischen Hexenbundes aufgestiegen war.
    Und dennoch, trotz aller Meinungsverschiedenheiten, als Ivalaine die Hexen aufgefordert hatte, wie eine Frau zu weben, hatte Lirith gespürt, dass die Frauen zusammengekommen waren und ihre Fäden zu einem einzigen großen, schimmernden Netz verwoben hatten. Vielleicht konnte man die Differenzen überwinden. Nicht, dass Lirith sich in den Akt des Webens richtig hatte vertiefen können. Seit dem Morgen, an dem sie das lebendige Fadenknäuel erblickt hatte, hatte sie die Weltenkraft kaum berührt. Sie konnte nur hoffen, dass Ivalaine nicht aufgefallen war, dass ihr Faden in dem Netz fehlte.
    Vor Tressas Gemach stand eine Hofdame vor der Tür. Die junge Frau führte Lirith schnell hinein und ging dann. Tressas Gemach hatte viel Ähnlichkeit mit der Frau, die es bewohnte; es war mütterlich und tröstlich. Blutrote Teppiche nahmen dem Boden seine Ungemütlichkeit, und auf jeder erdenklichen flachen Oberfläche schienen Kissen zu liegen.
    Die Beraterin der Königin stand an dem Bogenfenster. Neben ihr stand eine andere Frau. Überrascht sah Lirith, dass es sich um Aryn handelte. Das blaue Gewand der Baronesse saß nicht ganz richtig.
    »Danke, Schwester, dass Ihr so früh gekommen seid«, sagte Tressa. Sie trug ein schlichtes grünes Gewand; ihr rotes Haar war in ihrem Nacken zu einem engen Knoten gebunden.
    »Natürlich, Schwester.« Lirith warf Aryn einen Blick zu. Die junge Frau zuckte kaum merklich mit den Schultern. Offensichtlich wusste sie ebenfalls nicht, um was es ging.
    »Ich habe diesen Blick gesehen, Schwester«, sagte Tressa mit melodischer Stimme.
    Sowohl Lirith als auch Aryn zuckten leicht zusammen. Doch Tressa lächelte, um zu zeigen, dass sie nicht verstimmt war.
    »Nun, ich schätze, ich kann es Euch nicht übel nehmen. Neugier ist in unserem Kreis wohl kaum ein Verbrechen, nicht wahr? Und ich bin mir sicher, dass ihr beiden euch fragt, warum ich euch zu dieser Stunde hergebeten habe.«
    »Was gibt es denn, Schwester?«, fragte Lirith.
    Tressas Lächeln erlosch. »Es hat einen Zwischenfall gegeben.«
    Lirith hörte mit wachsendem Interesse zu, als Tressa näher ausführte, was geschehen war.
    Anscheinend war früher an diesem Morgen eine Novizin ausgeschickt worden, Schwester Cirynn zu wecken, da die zur Jungfrau bestimmte Hexe an jedem Tag des Großen Hexenzirkels traditionellerweise die Morgendämmerung begrüßte. Doch Cirynn war nicht in ihrem Bett gewesen. Eine schnelle, zweifellos mit Hilfe der Gabe durchgeführte Durchsuchung des Schlosses hatte den Aufenthaltsort der jungen Frau enthüllt. Sie hielt sich in der Unterkunft eines der königlichen Gardisten auf. Tressa hatte Cirynn im tiefen Schlaf mit einem Lächeln auf den Lippen vorgefunden. Genau wie mehrere der Gardisten.
    Tressa seufzte. »Anscheinend ist unsere Jungfrau keine mehr, und das vermutlich schon seit einiger Zeit. Was bedeutet, dass wir sofort einen Ersatz finden müssen.«
    Lirith spürte, wie sich eine Faust in ihrer Brust verkrampfte. »Aber Schwester Tressa, ich …«
    Die rothaarige Hexe hob die Hand.

Weitere Kostenlose Bücher