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Die letzte Rune 06 - Die sterbende Stadt

Titel: Die letzte Rune 06 - Die sterbende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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Papierfetzen und zerfetzte Tuchstücke flogen an ihm vorbei. Aus einer Loge in der Nähe flog ein Stuhl herbei und traf Beltan an Kopf und Schultern, und er stöhnte auf.
    Der Stuhl schlitterte wie ein lebendiges Ding weiter an Grace vorbei. Automatisch fing sie an, ihm mit dem Blick zu folgen.
    »Nein, Grace! Sieh mich an und sonst nichts!«
    Sie hielt die Augen auf Beltan gerichtet. Aus einem Schnitt auf seiner Stirn strömte Blut.
    »Nimm meine Hände, Grace.«
    Er streckte die Arme aus. Sie griff nach ihm, aber vergeblich; eine Lücke von dreißig Zentimetern blieb bestehen. Vorsichtig legte sie sich auf den Bauch und streckte die Arme nach Beltan aus.
    Das war ein Fehler. In dieser Position hatte sie keinen Halt. Sofort rutschte sie über den Stein.
    »Nein!«, schrie Aryn.
    Grace versuchte den Kopf zu heben, um einen letzten Blick auf die Freunde werfen zu können, bevor sie fortgerissen wurde.
    »Ich habe dich!«, sagte Beltan und grinste wild, als er ihre Handgelenke schnappte.
    Sein Griff war so hart, dass er schmerzte; das war Grace egal. Beltan zog sie zurück. Vani hielt seine Beine fest und verankerte sie an der Säule. Der blonde Ritter machte eine letzte Kraftanstrengung, Vani zog, Grace trat nach hinten aus, und dann waren sie alle drei zusammen und drückten sich an die Säule.
    Melia seufzte. »Den Göttern sei Dank.«
    »Das war knapp«, sagte Falken. Seine Stimme wurde fast vom Sturm übertönt.
    Grace drehte den Kopf. Das Haar fiel ihr in die Augen, wurde zurückgeweht. Dann sah sie, was Beltan ihr befohlen hatte, nicht anzusehen, und ihr Magen krampfte sich zusammen.
    Sie befanden sich auf dem gleichen breiten Balkon, auf dem sie sich zuvor versammelt hatten, fünfzehn Meter über dem Boden der Etherion. Die Hälfte der Balustrade war weggebrochen und hatte eine Kante hinterlassen, an der es steil in die Tiefe ging. Grace hatte sich keine dreißig Zentimeter vom Abgrund befunden. Hätte Beltan sie nicht erwischt …
    Ein weiterer Stuhl flog an ihnen vorbei und dann über den Rand des Balkons. Aber er stürzte nicht nach unten. Stattdessen raste er quer durch die Luft in die gewaltige Kuppel der Etherion hinein …
     … verlangsamte abrupt seine Geschwindigkeit und wechselte dann die Richtung. Grace sah atemlos zu, wie der Stuhl begann, mitten in der Luft eine Kreisbahn die Rundung der Etherion entlang zu beschreiben.
    Er war nicht allein. Hunderte – nein, Tausende – von Gegenständen drängten sich in der Luft. Da waren noch mehr Stühle und Tische, Bänke, Statuten, Vasen, Metallschalen, Pokale und große und kleine Steintrümmer. Ein Stück der Balkonbrüstung trieb vorbei. Mehrere Schriftrollen folgten, dann ein ganzer Marmoraltar. All die Objekte schwebten in einem perfekten Kreis um den Mittelpunkt der Etherion.
    Nein, kein Kreis. Eine Spirale …
    Grace konnte allmählich ein Muster entdecken. Es sah aus wie etwas aus ihrem Astronomiekurs auf dem College, wie das Miniaturmodell einer Galaxie; an den Rändern war sie abgeflacht und in der Mitte viel dichter konzentriert, und sämtliche Materie rotierte um einen zentralen Punkt und kam ihm mit jeder Umdrehung näher.
    Ein greller Funke blitzte im Mittelpunkt der Spirale auf und verschwand genauso schnell wieder, wie er aufgetaucht war. Was geschah dort? In der Mitte der Spirale drängten sich so viele Gegenstände, dass Grace es nicht erkennen konnte.
    »Was ist hier los?«, rief sie den anderen zu.
    »Eine Gruppe von Zauberern hat den Ring der kaiserlichen Soldaten durchbrochen«, sagte Vani durch die zusammengebissenen Zähne. »Das war einer von ihnen.«
    Sie wies mit dem Kopf auf den Zauberer, der sich hinter Falken und Aryn noch immer an der anderen Bank festklammerte. Er starrte sie mit furchterfülltem Blick an; da seine Maske beschädigt war, war er machtlos.
    »Gemeinsam konnten Melia, Beltan und ich sie aufhalten«, fuhr Vani fort. »Und dann …«
    »Ein Schatten kam«, sagte Beltan. »Ein Schatten, wie ich ihn nie zuvor in meinem Leben gesehen habe.«
    Grace sah wieder hinaus in die Etherion. Diesmal konnte sie sie voller Entsetzen zwischen den rotierenden Gegenständen ausmachen: Gestalten in schwarzen Gewändern mit funkelnden goldenen Masken. Sie zählte mindestens fünf von ihnen. Sie schwebten reglos daher. Schliefen sie, oder waren sie gelähmt? Oder gar tot?
    Dann erkannte sie andere reglose Körper in dem Treibgut, von verkrümmter Gestalt, dunkel und haarig. Gorleths. Und da waren auch noch andere Männer,

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