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Die letzte Rune 06 - Die sterbende Stadt

Titel: Die letzte Rune 06 - Die sterbende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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tarrasische Soldaten. Sie schwebten auf dem Rücken liegend dahin, mit geschlossenen Augen, so als würden sie schlafend auf dem Meer dahintreiben. Unweigerlich bewegten sie sich zusammen mit allem anderen in einer Spirale der Mitte der Etherion entgegen.
    Und endlich begriff Grace mit dumpfem Schrecken. Mit jeder Umkreisung kamen die schwebenden Gegenstände und Körper dem Schatten in der Mitte näher. Und wenn sie ihn erreichten, dann wurden sie verschlungen.
    »Der Dämon«, hauchte sie.
    »Grace, Liebes«, sagte Melia ernst, »wieso bist du hier?«
    »Wir waren …«
    »Travis«, stieß Beltan heiser hervor. »Geht es ihm gut? Und den anderen auch?«
    Grace bemühte sich, den Sturm zu übertönen. »Ihnen ging es gut. Das glaube ich zumindest. Ich kam durch das …«
    Ein neuer Schrecken durchzuckte sie. Im Chaos ihrer Ankunft hatte sie es vollkommen vergessen. Xemeth musste irgendwo hier sein. Sie verdrehte den Kopf, sah sich um.
    Der Zauberer, der sich an der Bank festklammerte, schrie auf. Stahlstifte ächzten, dann löste sich die Bank aus ihrer Befestigung. Der Zauberer schrie erneut. Seine goldene Maske flog sich überschlagend durch die Luft – dann verlangsamte sich ihre Beschleunigung abrupt, als sie ein Teil der Prozession zum Mittelpunkt und ins Vergessen wurde.
    Die Bank riss sich endgültig los. Der Zauberer schlug wild mit den Armen um sich – dann schlossen sich seine Hände um Aryns Knöchel.
    Die junge Baronesse schrie auf; ihr Griff um die Bank wurde aufgebrochen.
    »Nein!«, schrie Grace.
    Falken war schneller. Die Hand im schwarzen Handschuh schoss vor und schnappte Aryns linkes Handgelenk. Die junge Frau kam mit einem Ruck zum Halt, genau wie der Scirathi, der sich an ihrem Knöchel festklammerte. Er ließ nicht los, griff nach ihrem Bein, während Falken sie mit einer Hand festhielt, den Ellbogen seines anderen Arms um die Bank gehakt, das Gesicht vor Anstrengung verzogen.
    »Ich kann sie nicht halten!«, rief der Barde.
    Beltan und Vani fingen beide an, sich nach der nächsten Säule auszustrecken, um Aryn und Falken zu erreichen, aber Grace wusste, dass sie es niemals rechtzeitig schaffen würden. Es gab nur eine Chance.
    Grace schloss die Augen. Aryn.
    Ein Herzschlag verging, dann meldete sich eine zitternde Stimme in ihrem Geist. Grace?
    Aryn, hör mir zu. Es war schwer, die Gabe zu benutzen; die Macht des Dämons zog an den Fäden der Weltenkraft.
    Grace, ich will nicht abstürzen!
    Du wirst auch nicht abstürzen. Webe einen Zauber um ihn herum. Webe ihn jetzt – einen Schmerzzauber.
    Ich kann … ich kann die Fäden nicht halten …
    Ich helfe dir.
    Aber …
    Tu es, Aryn.
    In Gedanken griff Grace mit unsichtbaren Händen zu, nahm die wogenden Fäden und hielt sie für die junge Frau fest.
    Jetzt!
    Grace spürte Zögern – dann einen Willen, der so stark und grenzenlos war, dass er sie erschreckte. Die Fäden kamen zu einem funkelnden Gewebe zusammen.
    »Meine Augen!«, kreischte der Zauberer. »Deh’ru, meine Augen!«
    Er ließ Aryns Bein los und schlug die Hände vors Gesicht, Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor. Er taumelte durch die Luft und erreichte den Rand der Spirale. Sofort fing er an, sich mit den anderen im Kreis zu drehen; sein regloser Körper starrte mit blutigen leeren Augenhöhlen zur Kuppel hinauf.
    Falken zog Aryn wieder heran. Grace spürte den Schatten – ihren Schatten – am Rand ihres Gesichtsfelds. Er war in die Höhe geschossen, als sie Aryn bei dem Zauber geholfen hatte, und hatte sich nicht zurückgezogen. Sie fühlte, wie sich die Last der Vergangenheit schwer auf sie niedersenkte.
    Sie schaute in den Schatten, und in diesem Augenblick verstand sie. Sie dachte an das Piktogramm auf dem Altar, an den Punkt, der von Kreisen der Macht umgeben wurde. Ja, es passte alles zusammen. Es war ein Ding mit grenzenloser Schwerkraft, eingeschlossen in einem Stein kaum größer als ihre Hand – eine Kreatur, die sowohl Zeit wie auch Wahrnehmung verzerrte, die mit einem unstillbaren Hunger Materie in sich hineinzog.
    Er ist wie ein Schwarzes Loch. Der Dämon. Alles fällt in einer spiralenförmigen Umlaufbahn auf ihn zu und stürzt in seine Schwerkraftquelle, ohne Hoffnung auf Entkommen. Sogar die Zeit selbst. Darum sind in Tarras Vergangenheit und Gegenwart so miteinander verwoben.
    Sie öffnete den Mund, um den anderen zu erklären, was sie jetzt wusste, aber sie hatte keine Ahnung, wie sie Menschen aus dem Mittelalter theoretische Physik

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