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Die letzte Rune 06 - Die sterbende Stadt

Titel: Die letzte Rune 06 - Die sterbende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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zusammen, um das Ergebnis zu bestimmen. Du kannst sie nicht kontrollieren, also kann es auch genauso gut das Schicksal sein.
    Trotz des Entsetzens, das ihr im Magen lag, erzeugten die Worte der Alten einen Hauch von Hoffnung in ihr.
    Vani kniete neben der Bank der Alten nieder. »Was hast du für ihn gesehen, Al-Mama?«
    »Wen meinst du, Mädchen?«
    »Du weißt ganz genau, wen ich meine, Al-Mama. Travis Wilder.«
    Die Alte zuckte mit Schultern, die so spitz wie Messer waren. »Was glaubst du denn, das ich gesehen habe, Mädchen? Er ist es, das weißt du genauso gut wie ich. Aber er ist nicht das, was ich erwartet habe. Seine Hände sind ohne jedes Muster. Selbst ein Neugeborenes hat Linien auf seinen Händen, Vani, aber er nicht!« Sie schnalzte mit der Zunge. »Er ist ein Mann ohne Vergangenheit und ohne Zukunft.«
    Vani zuckte zurück, als hätte die Alte sie geschlagen. »Dann hat er also kein Schicksal?«
    »Hm, du glaubst also, er ist A’narai?« Die Alte verschränkte die Arme, an ihren knochigen Gelenken schimmerten Armreifen. »Vielleicht, Mädchen. Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Oder den Gedanken gewagt. Diese Knochen sind zu alt, um solche Wunder ertragen zu können. Aber vielleicht hast du Recht, vielleicht gehört er ja zu den Schicksalslosen. Vor langer Zeit hat man sich erzählt, dass allein sie das Gemach betreten konnten, in dem Orú träumte, ohne dem Wahnsinn zu verfallen. Und wenn er tatsächlich derjenige ist, der …«
    Vani und die Alte blickten einander an.
    Grace brachte ihre ausgedörrte Zunge in Bewegung. »Wovon sprecht ihr da überhaupt?«
    »Komm«, sagte Vani und stand auf. »Wir müssen meine Al-Mama ruhen lassen.«
    Grace wollte protestieren, aber Vani lenkte sie bereits in Richtung Tür.
    »Pass gut auf sie auf, Vani«, rief die Alte. »Ohne sie wird er die Stadt der Geheimnisse niemals finden. Dies ist eindeutig klar.«
    Der Vorhang teilte sich. Grace stolperte die Stufen herunter und fand sich unter den rauschenden Ithaya- Bäumen wieder. Die Sonne war im Begriff unterzugehen, und der Himmel hatte sich von Saphirblau zu Jadegrün verfärbt. Draußen auf dem Meer stieg ein großer, runder Mond in die Höhe, der ein Dutzend Mal größer als der Mond der Erde war.
    Sareth wartete auf sie.
    »Erzähle mir alles, was sie gesagt hat.«
    Vani nickte, nahm Sareths Arm, und zusammen gingen sie mit zusammengesteckten Köpfen in ihre Unterhaltung versunken in den Hain hinein.
    Neben Grace ertönte ein Seufzen. Sie drehte sich um. Lirith stand vor ihr.
    »Wo sind die anderen?«, fragte Grace.
    Lirith blickte in das dunkler werdende Zwielicht. »Er liebt sie, nicht wahr?«
    Wovon sprach Lirith da? »Sie lieben? Da bin ich mir sicher.«
    Lirith nickte steif. »Nun, dann. Gut für ihn. Ich hoffe … ich hoffe, sie werden glücklich miteinander, wenn sie verheiratet sind.«
    »Verheiratet? Wovon redet Ihr da?«
    Die schlanke Hexe blinzelte. »Vani und Sareth. Wenn sie sich lieben, werden sie dann nicht heiraten?«
    Endlich verstand Grace. Wie konnte sie nur so dumm gewesen sein? Aber natürlich, während sie mit einem Stethoskop den Herzschlag eines anderen hören konnte, gab es kein Instrument, das sie erkennen ließ, was sich darin verbarg.
    Sie legte Lirith die Hand auf den Arm. »Vani und Sareth lieben sich, weil sie Bruder und Schwester sind.«
    »Bruder und Schwester?« Lirith rang nach Worten. »Ihr meint …?«
    Sie wandte sich ab und verschränkte die Arme vor der Brust. Ein Zittern lief durch ihren Körper. Grace war sich nicht sicher, aber ihr erschien es, als hätte es sich um ein Schluchzen gehandelt. Sie zögerte und streckte eine Hand nach Lirith aus.
    »Grace, da bist du ja!«
    Sie drehte sich um, genau wie Lirith. Es war Travis.
    Er sah Lirith an, legte den Kopf schief. »Alles in …«
    »Uns geht es gut«, sagte Grace, fand Liriths Hand und drückte sie.
    Er nickte. »Kommt mit. Falken kann es kaum erwarten, mit Sareth zu sprechen, aber anscheinend geben sie zuerst zu unseren Ehren ein Fest. Ich schätze, die Mournisch – die Morindai – heißen nicht oft Gäste in ihrem Kreis willkommen, darum ist es eine große Sache, wenn sie es dann tun.«
    Grace warf Lirith einen Blick zu. Die Augen der Hexe funkelten in der Dunkelheit.
    Mir geht es gut, Schwester.
    Grace verstärkte den Druck um Liriths Hand. »Zeig uns den Weg«, sagte sie zu Travis.

21
    In den Jahrtausenden ihrer Wanderschaft war bei den Mournisch vermutlich vieles in Vergessenheit geraten; wie man

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