Die letzte Rune 08 - Das Schwert von Malachor
ihr Fragen stellte und sie sie auch beantwortete, konnte sie sich kurz darauf nicht mehr daran erinnern, was sie beide gesagt hatten. Immer wieder glitt ihr Blick zu den Fenstern oben im Saal. Sie konnte ihn nicht sehen, aber sie wusste, dass er durch den abendlichen Himmel schwebte: der Vollmond. Mirda saß nicht neben Ivalaine, sie hielt sich auch nicht im Saal auf.
»Mylady«, zischte eine Stimme neben ihr. »Das ist für Euch.«
Ein Diener beugte sich vor; er hielt ein mit einer Serviette bedecktes Silbertablett. Sie winkte ab, ohne ihn auch nur anzusehen. »Nein, danke. Ich habe schon zu viel gegessen.«
»Vertraut mir, Mylady. Das werdet Ihr haben wollen.«
Jetzt drehte sie sich zu dem Diener um, aber er hatte sich so tief verneigt, dass sie sein Gesicht nicht erkennen konnte. Er war so wie die anderen Diener gekleidet – auch wenn das Wams etwas zu groß für ihn zu sein schien. Dann schaute er auf. Aryn sah den blonden Spitzbart, dann seine grauen Augen.
Sie öffnete verblüfft den Mund, aber er schüttelte unmerklich den Kopf, und sie verstummte. Plötzlich war sie sich König Boreas’ Gegenwart neben ihr geradezu schmerzlich bewusst. Aber er schien in eine Unterhaltung mit seinem Sohn vertieft zu sein.
»Wir haben nur einen Augenblick, Mylady«, sagte Aldeth. »Ich gehe das schreckliche Risiko ein, entdeckt zu werden. Aber mir war klar, dass das hier nicht warten kann.« Er hielt ihr das Tablett hin. »Unter der Serviette ist ein Pergament. Nehmt es.«
Sie gehorchte, nahm das zusammengefaltete Blatt und verbarg es unter dem Tisch.
»Was ist das?«, wagte sie zu flüstern.
»Die Kopie eines Briefes, den Königin Ivalaine vor kurzem geschrieben hat. Ich konnte ihn aus der Tasche des Kuriers entwenden, während er sein Pferd reisefertig gemacht hat. Verzeiht meine schlechte Schrift, aber mir blieben nur Minuten, um eine Kopie anzufertigen.«
Aryn wollte den Spinnenmann fragen, was in dem Brief stand, aber er hatte sich bereits verbeugt und eilte fort, um durch eine Seitentür zu verschwinden. Boreas unterhielt sich noch immer mit Teravian, und der Graf neben Aryn hatte zu tief in den Pokal geschaut und hockte zusammengesunken auf seinem Stuhl. Sie wandte dem König den Rücken zu und wagte es, das Pergament auf ihrem Schoß zu entfalten. Schnell warf sie einen Blick auf die hastig hingekritzelten Worte. Als sie zum Ende kam, raste ihr Pulsschlag nicht länger, sondern hielt eine eiskalte Faust ihr Herz umfangen. Sie faltete die Seite wieder zusammen.
»Mylady, ist Euch schlecht?«
Es war der König. Er sah sie an, genau wie Teravian. Aryn knüllte das Pergament in ihrer Hand zusammen. Ihr war schwindelig, und sie wusste, dass ihre Wangen gerötet waren. Aber vielleicht konnte sie das zu ihrem Vorteil nutzen. »Ich bin müde, Euer Majestät, das ist alles. Wärt Ihr sehr enttäuscht, wenn ich mich für den Abend zurückziehe?«
Boreas schnaubte. »Ganz im Gegenteil, Mylady, es würde eine erstaunliche Zurückhaltung und Diskretion Eurerseits zeigen, wenn Ihr geht, bevor die Mitglieder meines Hofes noch betrunkener werden.«
Aryn lächelte ihn an und stand auf. »Ich glaube, dann sollte ich gehen. Gute Nacht, Euer Majestät.« Sie nickte Teravian zu. »Euer Hoheit.«
Der Prinz sah sie neugierig an – er wusste, dass sie etwas vorhatte –, aber bevor er etwas sagen konnte, verließ sie die Hohe Tafel hastig und eilte aus dem Saal.
Sie bog um eine Ecke und fing an zu laufen, sobald sie sich davon überzeugt hatte, dass sie außer Sicht war. In der Faust hielt sie noch immer die Kopie des Briefes. Die Worte auf dem Papier hatten alles verändert; sie wusste jetzt, was sie zu tun hatte. Mondlicht drang durch die schmalen Fenster, während sie zu Ivalaines Gemächern lief. Sie pochte an die Tür. Sie öffnete sich.
»Kommt rein, Schwester«, sagte Mirda.
Aryn sah sich in alle Richtungen um, dann eilte sie in das Gemach, und Mirda schloss hinter ihr die Tür.
»Was geht hier vor?«, fragte Aryn, von neuem schockiert. Ein Dutzend Holztruhen standen sauber in einer Reihe aufgebaut; sämtliche Besitztümer der Königin waren gepackt.
»Ivalaine hat ihre Pflicht getan«, sagte Mirda. »Sie hat den Sohn des Königs zurückgebracht, nachdem sie ihn an ihrem Hof als Pflegekind großgezogen hat, und sie war dabei, als seine Verlobung verkündet wurde. Sie wird morgen nach Ar-Tolor zurückkehren.«
»Und was ist mit Euch, Mirda? Geht Ihr auch?«
Der Blick der Hexe war so gelassen wie immer, aber da
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