Die letzte Rune 08 - Das Schwert von Malachor
fallen, das sie mitgebracht hatte, um den Kamin anzuzünden.
»Tut mir Leid!«, rief Aryn über die Schulter. »Aber ich brauche heute Morgen sowieso kein Feuer.«
Bevor die Dienstmagd auch nur eine Entgegnung stottern konnte, rannte Aryn schon den Korridor entlang. Es war noch früh. Aber sie konnte nicht länger warten. Es gab so vieles, das sie Mirda fragen wollte; sie konnte nur hoffen, dass die ältere Hexe schon aufgestanden war.
Sie hatte Königin Ivalaines Gemächer fast erreicht, als sie voraus eine Stimme hörte. Sie kam aus einem offenen Torbogen, der in einen kleinen Warteraum führte. Etwas an der Stimme ließ Aryn stehen bleiben. Sie gehörte einer Frau, und es klang wie ein Streit. Aber mit wem sie sich auch immer stritt, sie musste flüstern, denn Aryn konnte nur die Frau hören. Sie wusste, sie hätte weitergehen sollen, es war nicht richtig, andere zu belauschen. Trotzdem fand sie sich von dem Torbogen angezogen.
»Du hast keine andere Wahl. Egal, wie unerträglich die Wahrheit auch sein mag, du musst sie ertragen. Du musst. Bist du schließlich nicht die Königin? Deine Pflicht gehört deiner Domäne, alles andere kommt erst an zweiter Stelle.«
Aryn verspürte Entsetzen und Furcht. Sie blieb direkt vor dem Torbogen stehen und spähte mit einem weit aufgerissenen Auge zu der Gestalt herüber, die in dem Warteraum auf und ab ging.
Es war Ivalaine. Sie trug bloß ein lose fallendes Nachthemd, und sie war trotz des kalten Steinbodens barfuß. Ihr Haar war zerzaust, ihre Haut sehr blass, und wieder stellte Aryn sich unwillkürlich die Frage, ob die Königin krank war. Dann fiel ihr wieder die Unterhaltung mit Mirda ein.
Ist sie krank?
Nein, Schwester. Nicht auf die Weise, wie Ihr vielleicht denkt.
Sie konnte einen flüchtigen Blick auf die Augen der Königin werfen; sie glänzten, als hätte sie Fieber.
»Das Muster bindet dich nicht in Staatsangelegenheiten.« Mit einer schnellen Bewegung ihrer Finger drehte sie eine Locke ihres Haars auf. »Das kann es nicht, das konnte es noch nie. Und davon abgesehen, was du getan hast, war richtig. Er musste es wissen, ob er nun ein Mann des Stiers ist oder nicht.« Sie stieß ein bitteres, abgehacktes Lachen aus. »Und ist das der einzige Grund? Oder gibt es da noch mehr? Vielleicht bist du ja weder Königin noch Hexe. Ist es nicht deine erste Pflicht, eine Mutter zu sein? Würdest du ihn wirklich so einfach den Bedürfnissen deiner Domäne opfern, und den Bedürfnissen deiner Schwestern? Würdest du das?«
Sie wickelte nicht länger ihr Haar auf. Jetzt zerrte sie daran, riss daran. Goldene Strähnen lösten sich, und sie starrte sie an, als würde sie nicht begreifen, worum es sich bei ihnen handelte oder wo sie herkamen. Aryn schlug eine Hand vor den Mund; das konnte nicht sein. Sie wich von dem Torbogen zurück, drehte sich um.
Schwester Mirda stand vor ihr.
»Geht«, sagte die Hexe mit sanfter, aber befehlender Stimme. »Wartet in Eurem Gemach auf mich.«
Aryn schluckte ein erschrockenes Keuchen herunter und nickte. Sie hob den Rocksaum und rannte den Korridor entlang, ohne zurückzusehen.
Eine Minute später stieß sie die Tür zu ihrem Gemach auf und schloss sie wieder hinter sich. Sie lehnte sich mit klopfendem Herzen gegen die Tür, dann gab sie sich einen Ruck und sackte auf einen Stuhl in der Nähe des Kamins. Die Dienstmagd hatte das Feuer geschürt, und jetzt war es zu heiß in dem Raum, aber das war Aryn egal. Ihre Gedanken rasten; was war gerade geschehen?
Als es eine halbe Stunde später leise an ihre Tür klopfte, hatte sie noch immer keine Antwort. Es war Schwester Mirda. Ihr schwarzes Haar war im Nacken zu einem glatten Knoten zusammengebunden, der von Holznadeln gehalten wurde. Die Hexe bedeutete Aryn sitzen zu bleiben, dann nahm sie auf dem Stuhl daneben Platz.
Beide schwiegen einen langen Augenblick, bis Aryn es nicht mehr aushalten konnte. »Ist die Königin verrückt geworden?«, fragte sie und blickte ins Feuer.
»Nein, sie ist nicht verrückt«, sagte Mirda. »Wenn es so wäre, könnte man es vermutlich leichter ertragen. Aber sie ist sehr wohl bei Verstand, darum ist das alles auch so bedrückend. Ich glaube, sie ist dort fast die ganze Nacht auf und ab gegangen und hat nachgedacht. Ich vermute, sie hat das Gemach verlassen, um mich und die Diener nicht zu stören. Selbst in ihrer Qual denkt sie an andere.«
Aryn wusste, dass es ihr nicht zustand, sich nach Ivalaines privaten Dingen zu erkundigen, aber sie konnte nicht
Weitere Kostenlose Bücher