Die letzte Rune 08 - Das Schwert von Malachor
Entscheidung mit. Es sei denn natürlich, Ihr wollt auf der Stelle zu Liendra gehen.«
»Nein!«, stieß Aryn entsetzt hervor.
»Dann lasst uns in der Zwischenzeit mit dem Unterricht fortfahren.«
Nach Mirdas Erläuterungen war es so gut wie unmöglich, sich zu konzentrieren. Trotzdem zwang sich Aryn dazu, ihre Aufmerksamkeit auf die gestellten Aufgaben zu richten. An diesem Tag ging es darum, ihren Zauber in der Kunst der Illusion zu schulen, und bald verlor sie sich in dem Unterricht.
»Indem man die Fäden der Weltenkraft umgestaltet«, sagte Mirda, »könnt Ihr das Auge überzeugen, dass es etwas sieht, das in Wahrheit gar nicht vorhanden ist.«
Mirda gab Aryn einen silbernen Handspiegel. Aryns Aufgabe bestand darin, ihr Aussehen im Spiegel zu verändern. Es war schwer. Aryn starrte scheinbar eine Ewigkeit in den Spiegel, aber die einzigen Veränderungen in ihren Zügen bestanden in den schrecklichen Grimassen, die sie schnitt, wenn sie sich konzentrierte, und dem leichten blauen Schimmer, wenn sie die Luft zu lange anhielt.
Sie konnte es nicht tun. Wie sollte sie jemals einen anderen täuschen, wenn sie nicht einmal sich selbst täuschen konnte?
Aber das stimmt doch nicht. Du hast doch schon einmal jemanden getäuscht, nicht wahr?
Sie hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gebracht, als der Spiegel wie ein glatter Teich, in den man einen Stein geworfen hatte, Wellen schlug. Eine Frau mit rotgoldenem Haar und scharf und berechnend blickenden Augen schaute Aryn entgegen. Aryn keuchte auf, und einen Herzschlag später war das Bild der seltsamen Frau verschwunden; jetzt blickte ihr wieder ihr eigenes überraschtes Gesicht aus dem Spiegel entgegen.
»Sehr gut«, sagte Mirda und nahm ihr den Spiegel ab. »Das war ein schwieriger Zauber. Die wenigsten meistern ihn beim ersten Mal. Aber Ihr werdet noch viel Übung brauchen, wenn Ihr ihn aufrechterhalten wollt.«
Aryn registrierte diese Worte kaum. Was hatte sie noch einmal gedacht, bevor sich das Bild im Spiegel veränderte? Sie war davon überzeugt, dass es wichtig gewesen war, aber sie konnte sich jetzt einfach nicht mehr daran erinnern. Nur dass es sie aus irgendeinem Grund an Lirith und Grace denken ließ.
»Schwester?«
Mirdas Stimme klang besorgt. Aryn schüttelte den Kopf. »Es ist nichts. Ich habe gerade nur an Schwester Lirith und Lady Grace gedacht, das ist alles.« Sie seufzte aus ganzem Herzen. »Ich wünschte, ich könnte mit ihnen sprechen.«
»Warum tut Ihr es dann nicht?«
Aryn starrte die ältere Hexe an. Wovon sprach sie?
»Ihr kennt doch den Zauber, wie man durch die Weltenkraft spricht«, sagte Mirda. »Ich habe Eure Stimme gehört.«
»Aber ich weiß nicht, wo sich Lirith überhaupt befindet. Und Grace ist meilenweit weg. Ich kann nicht mit jemandem sprechen, der so weit entfernt ist.«
»Und warum nicht?«
Darauf wusste Aryn keine Antwort, mal davon abgesehen, dass es unmöglich erschien. Sie hatte einmal versucht, durch die Weltenkraft mit Lirith zu sprechen, als die Hexe in einem anderen Teil des Schlosses war, und war gescheitert.
Mirda ging zum Fenster; Sonnenlicht badete ihr Gesicht. »Die Weltenkraft ist ein großes Netz. Es umspannt die ganze Welt, spinnt sich zwischen allen Dingen und verbindet sie miteinander, ganz egal, wie weit sie voneinander entfernt sind. Wo auch immer Eure Freunde sind, wenn sie auf Eldh sind, dann sind sie in diesem Augenblick damit verbunden. Ihr müsst nur den richtigen Strang finden, und Ihr werdet sie finden.«
Es war Wahnsinn. Aryns Macht konnte unmöglich so weit reichen. Trotzdem ertappte sie sich dabei, wie sie sagte: »Ich möchte es versuchen.«
Mirda musterte sie einen Moment lang, und Aryn wusste nicht, was sie dabei sah, aber schließlich nickte die Hexe.
»Setzt Euch«, sagte Mirda. »Schließt die Augen und bildet im Bewusstsein ein klares Bild Eurer Freunde.«
Aryn gehorchte. Sie schloss die Augen und spürte die Sonne auf ihren Wangen. Sie stellte sich Grace vor – denn von beiden schien Grace im Augenblick irgendwie etwas näher zu sein.
»Fangt mit Eurem eigenen Lebensfaden an«, fuhr Mirda fort; ihre Stimme wurde zu einem leisen Singsang. »Folgt ihm hinaus, bis er einen anderen Strang kreuzt. Prüft diesen Strang, fragt ihn, ob er Euch näher zu Eurer Freundin bringt. Wenn ja, folgt ihm, wenn nicht, bleibt auf Eurem ursprünglichen Pfad. Prüft bei jeder neuen Kreuzung die Stränge erneut.«
»Aber woher weiß ich, dass mir die Stränge auch die Wahrheit sagen?«,
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