Die letzte Rune 08 - Das Schwert von Malachor
verbringen würde, zur T’gol ausgebildet zu werden. Aber an diesem Tag, als sie fünf war, bedeutete ihr der Name nichts.
»Aber ich muss jemanden heiraten, Al-Mama«, sagte sie und runzelte die Stirn.
»Es ist nicht das Schicksal derer, die Golgoru betreten, dass sie heiraten«, erwiderte Al-Mama. »Ihr Schicksal ist es … was ist das?« Die Finger der alten Frau glitten über ein weiteres Trio von Karten, die über den beiden aufeinander liegenden lagen. »Die Kaiserin, die Stadt, der Magier. Aber nein, das kann nicht sein, oder etwa doch?« Sie hatte nachdenklich aufgeschaut.
Ihre Al-Mama hatte nicht verraten, was die Karten bedeuteten, nicht an diesem Tag. Aber sie hatte mit ihren Eltern gesprochen, und Vani hatte sich in die Schatten geschlichen – schon als Kind konnte sie sich lautlos verhalten – und ihr Gespräch belauscht.
»Sie ist unsere einzige Tochter«, hatte ihr Vater mit vor Wut gerötetem Gesicht gesagt. »Ich werde sie nicht zu den Geiern der Stummen Festung schicken.«
»Du hast keine Wahl«, hatte Al-Mama ihn angefaucht. »Es ist ihr Schicksal.«
»Was ist mit den anderen Karten, Mutter?«, hatte Vanis Mutter mit ängstlichem Blick gefragt.
Die alte Frau war sich mit der Hand über die Augen gefahren. »Es ist ein Geheimnis, aber die Karten können nicht lügen. Eines Tages wird sie ihm ein Kind gebären.«
»Wem?«, hatte ihr Vater wissen wollen.
»Dem Magier, der Morindu die Finstere aus dem Sand der Zeit heben wird.« Und darauf hatten Vanis Eltern keine Antwort gewusst.
Ihr Vater hatte sich viele Jahre lang gesträubt, aber am Ende hatte er – frühzeitig ergraut und besiegt – dem Willen des Ältestenrats der Mournisch nachgegeben und Vani im Herbst ihres zwölften Jahres nach Golgoru geschickt. Vani hatte ihre Mutter und ihren Bruder nicht verlassen wollen. Und sie hatte gewusst, dass sie, wenn sie ging, ihren Vater nicht mehr lebend wieder sehen würde. Aber sie hatte genauso wenig eine Wahl gehabt wie er, und sie war allein auf einem Pony in die Leichentuchberge geritten, ohne zurückzuschauen. Und hatte auf dem ganzen Weg das Schicksal verflucht.
Aber als die Jahre vergingen, hatte sie ihre Ausbildung zuerst schätzen, dann lieben gelernt. Es lag Freude darin, sich dem Schicksal zu ergeben, diejenige zu sein, die man zu sein bestimmt war, und sie hatte sich in ihren Studien ausgezeichnet. Viele betraten die Stumme Festung; wenige verließen sie als T’gol und dann auch noch nach so wenigen Jahren wie Vani. Viele brauchten dreizehn und mehr Jahre. Sie bestand die schweren Prüfungen in neun.
Freudig war sie zu ihrem Volk zurückgekehrt, nur um erfahren zu müssen, dass ihre Mutter in ihrer Abwesenheit ihrem Vater ins Grab gefolgt war. Aber sie hatte noch immer Sareth und ihre Al-Mama. Und sie hatte noch immer ihr anderes Schicksal, das sich nicht verändert hatte. An ihrem einundzwanzigsten Geburtstag waren die Karten dieselben wie an ihrem fünften. Die Kaiserin. Die Stadt. Der Magier. Eines Tages wird sie ihm ein Kind gebären.
Die Karten konnten nicht lügen, das hatte Vani gelernt. Sie würde also doch heiraten – den Mann, der alle Geheimnisse wiederherstellen würde, die ihr Volk vor zwei Zeitaltern verloren hatte. Zehn weitere Jahre waren vergangen. Und dann …
Vani verlagerte ihr Gewicht, schmiegte ihren Rücken gegen seine nackte Brust, und er seufzte im Schlaf. Sie hatte es gewagt, das Tor-Artefakt zu benutzen, um das Nichts zwischen den Welten zu durchqueren und ihn auf seiner Erde zu finden. Im Verlauf der Jahre hatte sie sich oft gefragt, wie er wohl sein würde. Er war ein mächtiger Magier, so viel war ihr klar gewesen. Würde er alt und bösartig sein, das Gesicht von Narben verunstaltet? In diesem Fall hätte sie sich ihm trotzdem hingegeben; das war ihr Schicksal. Dann hatte sie ihn gefunden, und er war sanft und freundlich und sah gut aus, und das ließ ihr Schicksal nur noch wahrhaftiger erscheinen. Alles war genauso gewesen, wie es sein sollte …
… und dann hatten sie den blonden Ritter aus Durateks Gefängnis befreit.
Du hättest es wissen müssen. Du hast anderen oft genug die Karten gelesen. Das Schicksal ist immer wahrhaftig, aber oft ist es auch hart und gemein.
Sie hatte geglaubt, sie würden sich ineinander verlieben, sobald sie sich begegneten. Und das hatten sie auch; da hatten die Karten nicht gelogen. In dem Augenblick, in dem sie Travis Wilder das erste Mal gesehen hatte, hatte sie eine Schwäche in ihrem Inneren
Weitere Kostenlose Bücher