Die letzte Rune 09 - Das Tor des Winters
einlud.
»Waren Sie schon im Merry Executioner?«, fragte sie und zog die Jacke an.
»Noch nie davon gehört«, erwiderte Anders. »Klingt ja unheilvoll, der Fröhliche Scharfrichter. Was ist das?«
»Das ist ein Pub.«
»Es ist doch hoffentlich nicht das Essen, das tötet, oder?«
»Es gibt nur eine Möglichkeit, das rauszufinden, Partner«, sagte Deirdre mit einem Lächeln, das sie überraschte.
Sie verließen den Raum – Anders blieb stehen, um die Tür abzuschließen, was vermutlich eine vernünftige Idee war, auch wenn Deirdre sich noch nie die Mühe gemacht hatte –, dann gingen sie ins Pub.
Das Merry Executioner erwies sich als entspannende Umgebung, auch wenn es Deirdre merkwürdig vorkam, nicht mit Farr hier zu sitzen. Sie bestellte eine Fleischpastete, Anders nahm einen Salat. Es überraschte sie, dass man hier grünes, blättriges Zeugs servierte, aber Anders' Salat war groß und sah frisch aus.
Entschlossen, ein schlechter Einfluss zu sein, brachte sie ihn dazu, ein zweites Bier zu bestellen, um mit ihr mitzuhalten, und während sie tranken, erzählte er Geschichten über Kenia, über seine dortige Jugend und die Arbeit in den Kaffeeplantagen. Am besten gefiel ihr die Geschichte über die Affenherde, die eines Tages in eines der Lagerhäuser eindrang. Sie konnte sich das Chaos, das ein Dutzend mit Koffein aufgeputschter Primaten verursachte, lebhaft vorstellen.
»Erklären Sie mir etwas«, sagte sie. »Wenn Kenia so schön ist, warum es dann verlassen, um ein Sucher zu werden?«
Anders trank sein Bier aus. »Wir sollten lieber wieder zurückgehen, oder?«
Er stand auf und ging zur Tür, und er bewegte sich so schnell, dass sie laufen musste, um mitzuhalten. Als sie den Korridor zu ihrem Büro entlanggingen, schnappte sie nach Luft.
»Ich bin in schlechterer Verfassung, als ich …«
Anders hielt eine Hand hoch und unterbrach sie. Sie warf ihm einen verblüfften Blick zu. Er deutete mit dem Kopf auf ihre Bürotür, dann sah sie es selbst: Die Tür stand einen Spalt breit offen.
Wer würde den Schlüssel zu ihrem Büro haben? Sicherlich Nakamura. Und natürlich Fergus und Madeleine. Vielleicht hatte die Empfangsdame ein Formular gebraucht, das einer von ihnen vergessen hatte auszufüllen, und sich selbst eingelassen. Deirdre würde sie danach fragen, wenn sie sie …
Anders griff unter die Jacke und zog eine schmale Pistole hervor. Er drückte sich mit dem Rücken an die Wand und spähte durch den Spalt, die Pistole in Wangenhöhe gehalten. Deirdre starrte ihn an. Was machte Anders mit einer Waffe? Die Regeln der Sucher verboten, dass Agenten bewaffnet waren. Darum benutzten sie bei gefährlichen Missionen Sicherheitsleute.
Anders stieß die Tür ein Stück auf. Er schlüpfte mit einer fließenden Bewegung in den Spalt, schwang die Waffe nach links, auf die nächste Zimmerecke zu. Dann öffnete er die Tür weiter, wandte der Ecke, die er gerade kontrolliert hatte, den Rücken zu und ging ein Stück weiter in das Büro hinein.
Deirdre sah von ihrer Position neben der Tür zu. Trotz seiner Masse bewegte sich Anders mit einer löwenartigen Lautlosigkeit, ließ die Pistole kreisen, hielt den Rücken stets dem Teil des Zimmers zugewandt, das er gerade kontrolliert hatte. Schließlich senkte er die Waffe.
»Wer auch immer hier war, er ist weg.«
Deirdre trat näher und warf ihm einen kritischen Blick zu. »Ich kenne nicht viele Sucher, die so gut mit einer Waffe umgehen können. Oder genau wissen, wie sie einen Raum kontrollieren müssen.«
Anders ließ die Pistole wieder unter der Jacke verschwinden, einen schuldigen Ausdruck auf dem Gesicht. »Verflixt, ich dachte, ich könnte das länger als zwei Tage geheim halten.«
Deirdre verschränkte die Arme. »Wer sind Sie wirklich?«
»Aber, aber, Deirdre. Man hat mir gesagt, um ein Sucher zu sein, müsste ich an meinen detektivischen Fähigkeiten arbeiten. Haben Sie es noch nicht bemerkt?«
Er hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als bei ihr der Groschen fiel. »Sie sind kein Agent der Sucher. Sie sind ein Sicherheitsbeamter.«
Er schob die Hände in die Taschen und sah plötzlich jungenhaft aus. »Nun, fast richtig. Ich habe zehn Jahre in der Sicherheitsabteilung der Sucher gearbeitet. Aber dort stellt man keine Fragen. Man ist dafür da, eine Kugel abzufangen, wenn Duratek oder andere unfreundliche Zeitgenossen zu schießen anfangen. Aber ich hatte Fragen – so viele. Ich konnte es einfach nicht mehr ertragen, bloß dazustehen und
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