Die letzte Rune 09 - Das Tor des Winters
dick, dass er entzündlich war. Ein Funken aus einer defekten Leitung hat ausgereicht.« Aber der eingestürzte Turm war kein Getreidespeicher gewesen, sondern der Turm der Runensprecher des Schlosses. Und er bezweifelte, dass es darin elektrische Leitungen gegeben hatte.
Graces Gesicht war bleich, aber entschlossen. »Es spielt keine Rolle, was es verursacht hat. Es könnte Verletzte geben. Ich muss nach ihnen sehen.« Sie setzte Tira sanft auf dem Boden ab. »Bleib bei Melia.«
Travis griff nach ihrem Arm. »Es könnte gefährlich sein. Es könnten noch immer Steine in die Tiefe stürzen.«
Bevor Grace protestieren konnte, hinkte ihnen eine zusammengekrümmte Gestalt mit wehendem weißem Haar über den Burghof entgegen. »Euer Majestät! Kommt schnell! Da war …«
»Ich weiß, Lord Farvel«, knurrte Boreas. »Ich habe Augen im Kopf. Ich habe gesehen, wie der Turm eingestürzt ist. Wisst Ihr etwas darüber?«
»Nein, Euer Majestät. Ich habe Wächter ausgeschickt, um der Sache auf den Grund zu gehen.«
»Ich auch, und Sir Tarus ist bei ihnen. Wir werden die Wahrheit erfahren.« Der König wandte sich Beltan zu. »Neffe, ich will, dass Ihr und Sir Durge …«
Die Worte des Königs verhallten, als eine weitere Explosion Luft und Stein erschütterte. Die Druckwelle war übergangslos da und fegte Travis neben Grace zu Boden. Der Himmel verfinsterte sich, scharfe Steinsplitter prasselten als tödlicher Regen in die Tiefe. Bevor er sich aufrappeln konnte, landete ein zermalmendes Gewicht mitten auf ihm.
Im ersten Augenblick hielt er es für einen Felsen, der das Leben aus ihm herausquetschte. Dann fühlte er harte Muskeln und erkannte, dass es Durge war. Der Embarraner hatte sich auf Travis und Grace geworfen, um sie vor den fallenden Trümmern zu schützen.
Travis biss die Zähne zusammen, wartete auf die zweite Explosion. Hatte es nicht zwei gegeben, als der Turm der Runensprecher fiel? Aber es gab keinen zweiten Knall. Das Donnern verhallte, das Prasseln der fallenden Steine hörte auf. Einen schrecklichen Augenblick lang herrschte Stille. Dann ertönten neue Laute: Schmerzensschreie.
Travis bekam keine Luft mehr. Durge war kein Felsen, aber er war mindestens so solide.
»Durge«, sagte Grace. »Geht.«
Der Ritter schob sich von ihnen, dann half er Grace auf die Füße; ihr Reitgewand war schlammverschmiert. Sie drehte sich um, suchte nach Tira, aber das Mädchen war in Sicherheit, klammerte sich an Melias Kleid fest. Travis kam taumelnd auf die Füße. Um ein Haar wäre er gefallen, aber starke Hände hielten ihn fest.
»Bist du verletzt?«, fragte Vani. Ihr goldener Blick hielt ihn genauso fest wie ihre Hände. Ihre schwarze Lederkleidung war makellos rein, als wäre sie den fallenden Trümmern einfach ausgewichen.
»Mir geht es gut. Was ist mit den anderen?«
Einer der stämmigen Wachtürme, die über dem Schlosstor aufragten, nahm einen seltsam schiefen Winkel ein. In seiner Seite gähnte ein Loch wie ein Mund voller abgebrochener Zähne; aus den oberen Fenstern quoll Rauch wie aus einem Kamin. Der Tunnel, durch den sie noch eben gelaufen waren, war jetzt zur Hälfte mit Trümmern gefüllt. Wenn sie sich dort drin befunden hätten …
Travis versuchte nicht darüber nachzudenken. Die meisten von ihnen sahen mitgenommen aus, und Lord Farvel zitterte am ganzen Leib und konnte sich ohne Falkens Hilfe nicht auf den Beinen halten. Aber einen Augenblick später wurde offensichtlich, dass es nur einen einzigen Verletzten gab: König Boreas.
»Es ist nichts«, sagte der König mit einem Grunzen, während Grace die schnell anschwellende Beule auf seinem Kopf untersuchte. Sein schwarzes Haar war blutverklebt. »Es war ein Steinchen, das ist alles. Macht nicht so einen Wind deswegen.«
Die Glaubwürdigkeit des Königs wurde sofort von seinen nachgebenden Knien untergraben. Beltan packte ihn unter den Achseln, damit er nicht wieder stürzte.
»Ihr könntet eine Gehirnerschütterung haben«, sagte Grace, und Travis bezweifelte, ob ihr bewusst war, dass sie vergessen hatte, ihn Euer Majestät zu nennen. Sie schloss die Augen, öffnete sie wieder. »Ihr habt eine. Sie ist nicht schlimm. Ihr schwebt nicht in ernster Gefahr – solange Ihr ruhig liegen bleibt und nichts tut.«
Boreas fing an zu protestieren, aber dann krümmte er sich und übergab sich in den Schlamm.
»Ihr da!«, rief Beltan drei Wachen zu, die auf sie zugerannt kamen. »Helft dem König zurück ins Schloss.« Er wandte sich Teravian zu,
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