Die letzte Rune 09 - Das Tor des Winters
wird.«
»Aber er wird es zerstören, Schwester«, sagte Lirith. »Wenn die eine Prophezeiung stimmt, dann auch die andere. Wie das sein kann, weiß ich nicht, aber die alten Frauen der Vergangenheit waren weise und ihre Visionen reichten weit, und ich glaube, dass sie die Wahrheit sahen.«
Aryn ergriff Liriths Hand. »Wirst du dich also dem Schattenzirkel anschließen?«
Lirith zögerte nicht. »Das werde ich tun, aber ich verstehe nicht, wie uns das helfen sollte. Wir sind noch immer durch das Muster gebunden.«
»Ja«, erwiderte Aryn, »aber braucht das Muster wirklich das, das es deiner Meinung nach braucht?«
»Was?«
Aryn stand auf. »Schwester Mirda verließ Calavere ein paar Tage vor eurer Rückkehr. Sie hat mir gesagt, sie müsste die anderen Hexen des Schattenzirkels persönlich sprechen – dass sie aus Furcht vor heimlichen Lauschern nicht wagen würden, durch die Weltenkraft zu sprechen. Bevor sie ging, zeigte sie mir einen Weg, das Muster tiefer zu ergründen.
An der Oberfläche scheint das Webmuster der Fäden zu sagen, dass wir gegen die Krieger von Vathris und Travis Runenbrecher arbeiten müssen, aber wenn man tiefer blickt, bis zu den vorher gespannten Kettfäden, die die Grundlage des späteren gewebten Musters bilden, dann bringt es in Wirklichkeit zum Ausdruck, dass wir gegen die Krieger arbeiten müssen, um Eldh zu retten. Aber wenn die Arbeit gegen sie irgendwie verhindern sollte, dass Eldh gerettet wird …«
»… dann erlaubt uns das Muster, mit ihnen zusammenzuarbeiten«, sagte Lirith und sprang auf die Füße. »Das Muster erlaubt uns, alles zu tun, was am Ende die Welt rettet.« Ihre Augen leuchteten. »Du hast uns Hoffnung gegeben, wo zuvor keine war, Schwester.«
Aryn wandte sich Grace zu. »Wirst du dich uns anschließen?«
Grace konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. »Ich glaube, das habe ich bereits«, sagte sie. Aryns Worte stellten eine große Erleichterung dar, aber eine Frage ließ sie nicht los.
»Lirith, du hast vorhin erwähnt, dass man die Schattenzirkel vor langer Zeit verboten hat«, sagte sie. »Was würde geschehen, wenn Ivalaine uns entdeckt?«
Es war Aryn, die antwortete. »Da müssen wir keine Angst haben. Auch wenn Ivalaine und Tressa keine Mitglieder des Schattenzirkels sind, so stehen sie unserer Sache doch zumindest wohlwollend gegenüber. Auch wenn sie das als Mutter des Großen Zirkels nicht zeigen darf.«
»Und was ist mit Schwester Liendra?«, wollte Lirith wissen. »Sie stand im Mittelpunkt des Musters, und sie will Ivalaines Platz als Mutter des Großen Zirkels einnehmen. Die meisten Hexen folgen ihr. Was würde geschehen, wenn Liendra uns entdeckt?«
Aryn wandte sich ab. »Dann würde man unsere Fäden aus dem Muster reißen und einen Zauber weben, so dass wir niemals wieder mit der Gabe die Magie der Weltenkraft berühren könnten.«
Grace erschauderte, und Liriths Gesicht wurde aschgrau. Von der Weltenkraft abgeschnitten zu sein würde wie ein lebender Tod sein – sie wären am Leben, aber unfähig, das um sie herum befindliche Licht oder die Wärme zu fühlen.
»Ich habe nur noch eine Frage«, sagte Grace, als sich Aryn und Lirith verabschieden wollten. »Lirith, du hast gesagt, dass man die Schattenzirkel verboten hat, weil sie böse Zauber wirkten.«
Die Hexe nickte. »Sie haben den Hass des einfachen Volks auf die Hexen herabbeschworen. Darum hat man sie alle aufgelöst.«
»Aber das ist nicht passiert«, sagte Aryn und schüttelte den Kopf. »Mirdas Schattenzirkel hat überlebt.«
»Und das ist meine Frage«, sagte Grace und verschränkte die Arme. »Wenn dieser eine Schattenzirkel weiterbestanden hat, könnten andere ebenfalls überlebt haben. Und wenn dem so ist, was ist, wenn sie nicht für das Gute arbeiten so wie Mirdas Zirkel? Was ist, wenn sie die bösen Schattenzirkel sind, die, die für den schlechten Ruf der Hexen gesorgt haben?«
Schweigen kehrte ein. Die Scheite im Kamin knisterten, Funken schossen den Schornstein hinauf.
»Komm, Schwester«, sagte Lirith schließlich und nahm Aryns guten linken Arm. »Es ist Zeit, dass wir alle zu Bett gehen.«
11
Grace erwachte vom Glockenspiel.
Sie setzte sich in ihrem Bett auf, und die Bruchstücke eines Traums fielen von ihr ab wie zerbrochene Glassplitter. Ihr Haar war zerzaust, ihr Nachthemd klebte feucht und verschwitzt an ihrem Körper. Die Seite neben ihr war leer und kalt; Tira verbrachte die Nacht in Melias Gemach. Eiskalte Luft strömte durch das Fenster
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