Die letzte Rune 09 - Das Tor des Winters
anderen Geheimnisse zu teilen.«
Grace lächelte. »Dafür sind Freunde da.«
»Eine T'gol hat keine Freunde.«
»Diese hier schon«, erwiderte Grace und fasste Vani fester, und sie gingen zurück zum Bergfried.
10
Als Grace wieder in ihr Gemach zurückkehrte, war es Abend. Sie hatte über eine Stunde in Vanis Raum verbracht. Die T'gol hatte sich nur zögernd untersuchen lassen, aber Grace war Königin und Ärztin. Ein Nein als Antwort kam für sie nicht in Frage. Vani hatte das erkannt und sich geschlagen gegeben.
Soweit Grace es sagen konnte – ohne Bluttests oder eine Amniozentese –, verlief Vanis Schwangerschaft normal. Im ersten Augenblick hatte sich Grace nach einem Ultraschallgerät gesehnt, aber dann war ihr bewusst geworden, dass sie ein viel besseres Werkzeug hatte. Sie legte beide Hände auf Vanis nackten, flachen Bauch, schloss die Augen und griff mit der Gabe zu.
Augenblicklich sah sie den Fötus. Er war winzig, sein Lebensfaden ein dünnes Lichtband, das mit Vanis eigenem strahlendem Faden verbunden war. Während Vanis Strang golden strahlte, wies der Faden des Fötus einen grünen Schimmer auf, der an Sonnenlicht auf Blättern erinnerte. War das von Beltan gekommen? Grace tastete vorsichtig mit ihren Gedanken; so klein er war, war doch alles in Ordnung.
»Es ist ein Mädchen«, sagte Grace und lächelte noch immer mit geschlossenen Augen. »Ich würde sagen, dass du etwas …«
Hallo, Tante Grace, sagte eine piepsige Stimme in ihrem Verstand, leise, aber deutlich zu verstehen.
Sie keuchte auf und riss die Augen auf.
»Stimmt etwas nicht?« Vani runzelte die Stirn.
Grace schüttelte den Kopf. »Nein, alles sieht gut aus. Ich wollte gerade sagen, dass du etwas weiter bist, als ich in der achten Woche gedacht hätte. Aber das ist bei jeder Frau anders.« Sie schloss wieder die Augen und lauschte, aber diesmal hörte sie nur das Schlagen zweier Herzen. Sie musste sich das eingebildet haben.
Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie, dass Vani sie beobachtete. Grace richtete sich auf und nahm einen energischen Tonfall an.
»Kein Grund zu irgendwelchen Sorgen. Du und das Baby seid bei ausgezeichneter Gesundheit. Du solltest Maddok und Wein auf das absolut nötige Minimum beschränken. Ich werde dir einen Kräutertrank bereiten, der dir bei der morgendlichen Übelkeit hilft.«
»Danke«, sagte Vani und zog ihr Oberteil wieder über den Bauch.
»Weißt du, ich glaube, es wird schwer sein, Umstandslederkleidung zu finden«, sagte Grace mit einem Lachen. Vani lächelte, und zum ersten Mal an diesem Tag hatte es den Anschein, als wären die Dinge wirklich in Ordnung.
Als Grace nun die Tür zu ihrem Gemach öffnete, war sie sich da nicht mehr so sicher. Die Ereignisse des Morgens kamen ihr wieder zu Bewusstsein, so wie die Ungeheuerlichkeit der Aufgabe, die vor ihr lag. Sie trat ein und wollte nichts mehr, als das Feuer zu schüren und sich ins Bett fallen zu lassen.
Aryn und Lirith standen von den Stühlen vor dem Kamin auf.
»O Schwester«, sagte Aryn, eilte los und warf ihren linken Arm um Grace.
»Aryn«, sagte Grace verblüfft. »Was ist los?«
»Es kann nicht wahr sein. Du kannst uns nicht verlassen.«
Grace seufzte. Also hatten sie die Neuigkeiten gehört. Sanft drückte sie Aryn zurück.
»Ich muss gehen«, sagte sie. Wenn sie so tat, als wäre das etwas, das sie tatsächlich tun wollte – statt einer Vorstellung, die ihre Knie in Wackelpudding verwandelte –, würde es das den anderen vielleicht etwas leichter machen. »Wenn wir Burg Todesfaust besetzen können, haben wir vielleicht eine Chance, den Fahlen König aufzuhalten.«
Lirith trat mit raschelnden Röcken zu ihnen. »Glaubst du das wirklich, Schwester?«
»Ich gebe mir Mühe«, erwiderte Grace mit einem schwachen Lächeln.
»Du bist müde«, sagte Aryn, zog Grace zum Feuer und drängte sie auf einen der Stühle. Lirith schenkte ihnen allen einen Pokal Wein ein und nahm den anderen Stuhl, während sich Aryn auf den Boden setzte und ihren Arm und das Kinn auf Graces Knie legte.
»Lasst uns für immer so bleiben«, murmelte Aryn und schaute ins Feuer. »Nur wir drei, zusammen. Lasst uns so tun, als gäbe es nichts anderes auf der Welt, das wir tun müssten, als hier zu bleiben und Wein zu trinken und über alberne Dinge zu sprechen.«
»Das ist ein schöner Traum, Schwester«, sagte Lirith. Der Feuerschein verlieh ihrer dunklen Haut einen goldenen Schimmer. »Ich wünschte, so könnte es sein. Aber wir haben
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