Die letzte Rune 09 - Das Tor des Winters
Maultier gibt. Und jetzt weiß ich auch, warum. Diese Bestie ist nicht zu kontrollieren.«
Jetzt, da Graedin nicht länger an den Zügeln herumriss, sah das Maultier ganz friedlich aus, sogar erleichtert, wie Grace fand. »Ich halte es für gewöhnlich am besten, Shandis die Entscheidung zu überlassen, wo sie hingehen will und wie schnell. Ihr solltet das auch versuchen, Meister Graedin.«
Der junge Runensprecher grinste. »Eine erstaunliche Idee, Euer Majestät. Ihr seid wirklich weise.«
»Nein. Ich ziehe es nur vor, mich wegen der Dinge zu sorgen, die ich kontrollieren kann, und nicht wegen denen, über die ich keine Kontrolle habe.«
»Das ist eine Lektion, die Meister Graedin lieber befolgen sollte«, sagte Oragien und warf dem jungen Runensprecher einen bezeichnenden Blick zu. »Er neigt dazu, nach den Runen zu greifen, die außerhalb seiner Reichweite sind.«
»Aber woher weiß man, dass sie außer Reichweite sind, wenn man es nicht versucht?«, fragte Graedin.
Grace biss sich auf die Lippe, konnte aber ein Lachen nicht unterdrücken. »Ich fürchte, da hat er Euch erwischt, Großmeister.«
Oragien schüttelte den Kopf. Es war offensichtlich, dass der alte Runensprecher viel für seinen Schüler übrig hatte.
»Ich wünschte, wir hätten mehr Zeit, Euer Majestät«, sagte er. »Seit letztem Sommer, als Ihr und Meister Wilder uns verlassen habt, haben wir viel gelernt – mehr, als ich es mir je hätte träumen lassen. Wir haben mehrere Splitter des Runensteins wieder zusammenfügen können, was größtenteils den Bemühungen von Meister Graedin zu verdanken ist. Und doch gibt es noch so viel, das wir nicht wissen.«
»Wir müssen eben lernen, während wir uns damit beschäftigen«, sagte der junge Runensprecher.
Grace lächelte ihn an. »Diese Idee gefällt mir. Ich glaube, wir alle werden auf dieser Reise etwas lernen.«
Eine Zeit lang ritten sie schweigend weiter, und die Schatten vor ihnen wurden länger.
»Und Ihr seid wirklich eine Hexe, Euer Majestät«, sagte Graedin ohne jede Vorwarnung, als sie durch ein Gehölz voller blattloser Bäume ritten.
»Meister Graedin!«, rief Oragien empört aus.
Grace hielt eine Hand hoch. »Schon in Ordnung.« Vermutlich hatten viele Männer in ihrem Heer über ihre Kräfte getuschelt. Da konnte sie die Gerüchte auch genauso gut beenden. »Ich nehme an, man könnte schon sagen, dass ich eine Hexe bin, aber ich fürchte, keine besonders gute.«
»Das bezweifle ich, Euer Majestät«, sagte Graedin mit funkelnden Augen. »Könnt ihr einen Zauber weben? Hexenmagie hat mich schon immer interessiert, ob es Ähnlichkeiten zum Runensprechen gibt. Ihr müsst wissen, ich habe da eine Theorie, die …«
»Das reicht nun wirklich, Meister Graedin«, sagte Oragien streng. »Es ist Zeit, dass wir zu unseren Brüdern zurückkehren. Wir danken Euch für Eure Geduld, Euer Majestät.«
Der Großmeister warf Graedin einen bedeutsamen Blick zu, dann wendete er sein Maultier und ritt zurück zu den anderen Runensprechern. Graedin winkte Grace zu, dann trat er sein Maultier, so dass das Tier erst einmal bockte, bevor es hinter dem Großmeister hertrabte. Grace tat es Leid, ihn ziehen zu sehen. Der junge Runensprecher gefiel ihr, und seine Theorie über Runenmagie und Hexenmagie interessierte sie. Sie hatte beides für unvereinbar gehalten, aber dann hatte sie gesehen, wie die Vettel Grisla – die mit Sicherheit eine Hexe war – in König Keis Lager einen Runenzauber gewirkt hatte.
»Bei Jorus, ich dachte schon, die beiden würden nie gehen.«
Beim Ertönen der Stimme zu ihrer Rechten wäre Grace beinahe aus dem Sattel gefallen. Sie schaute in die Richtung. Die nackten, ineinander verzweigten Äste über ihren Köpfen verursachten ein vorzeitiges Zwielicht, und es dauerte einen Augenblick lang, bis sie Aldeth keine zwei Meter entfernt reiten sah. Sein Pferd war so grau wie der Nebelmantel, so dass beide mit dem Zwielicht verschmolzen; jede Schnalle und jeder Ring waren mit weichem Filz eingewickelt, so dass das Pferd kaum einen Laut machte, während es über den moosigen Boden stapfte.
»Aldeth, ich habe Euch dort gar nicht gesehen.«
»Das war irgendwie auch die Absicht, Euer Majestät.«
Sie warf ihm einen, wie sie hoffte, durchbohrenden Blick zu. »Ihr seid mein Spion, Aldeth. Vor mir habt Ihr nichts zu verbergen, nur vor allen anderen.«
»Ich finde es besser, keine Ausnahmen zu machen. So bin ich immer abgesichert.«
Grace gab es auf. »Was ist los? Etwas
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