Die letzte Rune 10 - Der Runenbrecher
begriff Travis – darum waren sie ihm vertraut erschienen. Er hatte in Büchern Zeichnungen von ihnen gesehen, hatte in Museen Dioramen gesehen, in denen Wachsfiguren Speere hielten oder an Feuern kauerten, Knochen und Feuerstein bearbeiteten. Den Lehrbüchern zufolge waren die Neandertaler auf der Erde vor über dreißigtausend Jahren verschwunden.
Aber vielleicht sind sie gar nicht verschwunden. Vielleicht sind sie an einen anderen Ort gegangen.
Beltan befühlte die Lederkleidung, die sie Travis gegeben hatten. »Sie haben dich genau wie ihren Schamanen gekleidet.«
Schamanen? Travis warf einen Blick über die Schulter. Der Mann, der zu ihm gesprochen hatte, der, dessen Leder mit Gelb befleckt war, erwiderte den Blick. In seinen Augen lag ein unleserlicher Ausdruck.
»Wie kannst du hier sein, Beltan?«
»Wir haben das Tor-Artefakt benutzt«, sagte Beltan mit gerunzelter Stirn. »Als wir in das Tor traten, stellten wir uns die Stadt Omberfell vor. Es war der einzige Ort, an dem wir beide zuvor waren, der in der Nähe von Burg Todesfaust ist. Vani sagte, es sei sicherer, ein Ziel zu wählen, das man sich deutlich vorstellen kann.« Er schüttelte den Kopf. »Aber etwas ging schief. Da war ein Spalt im Nichts, und wir stürzten hindurch. Es hatte den Anschein, als wären wir tausend Meilen gefallen.«
Travis verschränkte die Arme. »Ich habe den Spalt im Nichts auch gesehen. Er hat mich in sich hineingezogen, genau wie euch. Aber warum sind wir hier gelandet, an diesem Ort?«
Weil er hier zerbrochen wurde, sagte der Maugrim in seiner fremden Sprache.
Travis fröstelte. »Wo was zerbrochen wurde?«
Der Schamane schaute zum stürmischen Himmel hinauf.
Travis sah Beltan entsetzt an. »Wo ist Vani?«
»Du solltest lieber mitkommen«, erwiderte der Ritter besorgt.
Beltan setzte sich in Bewegung, und Travis schloss sich ihm an; die Maugrim schlurften hinterher. Sie erklommen eine Anhöhe, dann kamen sie zu einem primitiven Halbkreis aus Steinen, der etwas Schutz vor dem Wind bot. In der Mitte brannte in einer Grube ein Feuer. Travis hatte keine Ahnung, wo sie das Holz gefunden hatten – vielleicht stammte es von einem der verkümmerten Bäume –, aber das Feuer zog ihn an wie eine Motte. In der Nähe der Gruppe hatte sich eine Gruppe Frauen versammelt, Vani befand sich in ihrer Mitte.
Er rannte die letzten Schritte. »Vani …«
Sie schaute auf und lächelte. Der Ausdruck brach ihm das Herz. Ihr Gesicht war schmerzverzerrt, so grau wie die Asche auf dem Boden. Sie trug Auerochsenlederkleidung wie Travis und Beltan, um ihre Schultern lag ein weiteres Ledertuch, mit der Fellseite nach innen gerichtet.
Die Maugrim-Frauen zogen sich zurück, und Travis kniete neben ihr nieder. »Vani, was ist los?«
Sie schüttelte bloß den Kopf; aus ihren goldenen Augen rannen Tränen, die von dem trockenen Wind fortgerissen wurden.
»Mit dem Baby stimmt etwas nicht«, sagte Beltan.
Vani holte zischend Luft. Travis schaute auf. Was hatte Beltan da gesagt?
»Wie lange?«, fragte Vani mit zitternder Stimme. »Wie lange weißt du schon, dass ich ein Kind bekomme?«
Beltans Miene war traurig und nachdenklich. »Seit dem Weißen Schiff. Es war nicht schwer, darauf zu kommen, nicht einmal für mich. Dass es dir morgens immer schlecht war, hat dich verraten.«
Sie senkte den Kopf. »Ich wollte es dir sagen.«
»Ich weiß«, sagte er.
Das ergab keinen Sinn. Wie konnte Vani schwanger sein? Travis war nie mit ihr zusammen gewesen, nicht auf diese Weise. Er sah von ihr zu Beltan, und plötzlich verriet das Leid auf ihren Gesichtern die Antwort.
Er kam taumelnd auf die Füße. »Wie?« Das war alles, was er sagen konnte.
Vani schüttelte den Kopf.
»Es war das Kleine Volk«, sagte Beltan und wich seinem Blick aus. »Auf Sindars Schiff. Sie haben uns reingelegt. Wir trafen uns in einem Garten, den es unmöglich geben konnte, aber jeder von uns glaubte …«
Travis griff nach seinem Arm. »Ihr habt was geglaubt?«
»Jeder von uns hat geglaubt, der andere wärst du«, sagte Vani und schaute mit einem gequälten Ausdruck in ihren Augen zu ihm hoch. »Wir haben beieinander gelegen, und erst, als wir erwachten, erkannten wir die Wahrheit. Wir wissen nicht, warum das Kleine Volk uns das angetan hat. Nur, dass sie es getan haben.«
Die verschiedensten Gefühle schossen in Travis hoch: Schock, Eifersucht, Entsetzen, das Gefühl, verraten worden zu sein. Vani und Beltan hatten miteinander geschlafen? Er kämpfte darum, das zu
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