Die letzte Rune 10 - Der Runenbrecher
Bild geboten, auf das sie schon zuvor einmal einen Blick geworfen hatte: eine stolze Frau in Blau ritt von dem Schloss mit den sieben Türmen fort, einen Schild auf der Schulter, in der Hand ein Schwert. Eine Königin, die in den Krieg ritt.
Ivalaine hatte ihr dieses Bild im Wasser einer Kanne enthüllt, und es schien bereits eine Ewigkeit her zu sein. Dann hatte sie es erneut gesehen, auf der Karte, die sie aus dem T'hot- Spiel von Sareths Al-Mama gezogen hatte. Beide Male hatte sie es nicht verstanden. Wie konnte sie in den Krieg reiten, und dann noch aus einer Burg mit sieben Türmen, wo Calavere doch neun hatte? Aber zwei von Calaveres Türmen waren verschwunden, und das galt auch für Aryns Unsicherheit. Sie wusste, noch war sie keine Königin; trotzdem würde man ihr gehorchen.
Aryn brachte das Pferd vor Teravian zum Stehen. Petryen und Ajhir warfen ihr misstrauische Blicke zu, die Hände auf den Schwertgriffen, aber der Prinz sah sie neugierig an.
»Geht zurück zu Eurem Vater, Aryn«, sagte er. Seine Stimme klang leise, allein für sie bestimmt.
Aryn war sich Petryens und Ajhirs wütender Blicke bewusst, genau wie der der zweitausend Männer, die sich nicht weit hinter dem Prinzen versammelt hatten. Trotzdem nahm sie die Schultern zurück. »Boreas ist mein Vormund, nicht mein Vater. Mein Platz ist an Eurer Seite, Euer Hoheit. Bin ich nicht Eure Verlobte?«
Er blinzelte, und es war klar, dass ihn ihre Worte überrascht hatten. »Darüber können wir später sprechen. Im Augenblick müsst Ihr hier verschwinden. Es wird zu einem Kampf kommen. Ich kann ihn nicht aufhalten.«
»Nein?« Während sie sprach, tastete sie die Weltenkraft ab und verfolgte die Fäden der Macht.
Seine Züge verhärteten sich. »Nein, tatsächlich kann ich das nicht.«
Aryn suchte noch immer. Sie brauchte mehr Zeit. »Warum?«, fragte sie. »Warum tut Ihr das?«
»Das könnt Ihr nicht verstehen.«
»Vielleicht doch.«
Der Wind wehte dem Prinzen das dunkle Haar aus der Stirn. Er sah älter als früher aus, stärker und ernster. Seine Schultern waren nicht länger gekrümmt. Der unsichere und unbeholfene Junge, den sie gekannt hatte, war verschwunden; an seiner Stelle stand ein junger Mann.
»Ich habe es getan, weil ich ihn liebe«, sagte er so, dass nur sie es hören konnte, und sah über das Feld zum Banner von König Boreas.
Er hatte Recht. Aryn verstand es nicht. Aber eines wusste sie – das magische Gewebe war fein und kunstfertig gemacht, und sie hatte es endlich entdeckt. Es hing wie ein schimmernder Vorhang hinter dem Prinzen.
»Dann werde ich Euch jetzt verlassen, Euer Majestät«, sagte sie. »Aber zuerst müsst Ihr ein Geschenk von mir annehmen – etwas, das Euch an Eure zukünftige Frau erinnert.«
Petryen runzelte die Stirn, und Ajhir wollte protestieren, aber Teravian brachte sie mit einer Geste zum Schweigen. »Was ist es?«
»Nur das hier, Mylord.« Sie schob das Schwert in die Scheide und zog das bestickte Halstuch unter dem Umhang hervor. »Es ist nichts Großartiges, nur ein Pfand, das ich für Euch gemacht habe. Ich bitte Euch nur, es um den Hals zu legen, bevor Ihr in die Schlacht reitet.«
Teravian zögerte, dann streckte er die Hand aus und nahm das Tuch. »Es ist wunderschön«, murmelte er. Er entfaltete es vorsichtig, dann band er es sich um den Hals. »Jetzt geht, Aryn. Bringt Euch in Sicherheit.« Seine Worte waren so zärtlich, dass sie beinahe ihre Entschlossenheit verloren hätte.
Aber nein, sie würde nicht scheitern. Sie ließ die kalte Luft ihr Herz zu Eis gefrieren.
»Bitte«, sagte er. »Es ist Zeit.«
»Das ist es.« Mit der verkümmerten Hand machte sie verborgen vom Schild eine Bewegung.
Teravian würgte, seine Augen quollen hervor. Er griff nach dem Halstuch. Er wollte etwas sagen – möglicherweise war es Aryn –, aber keine Luft drang aus seinem Mund. Der Prinz schwankte im Sattel, die Männer in seiner unmittelbaren Nähe stießen Rufe aus.
»Euer Majestät!«, rief Herzog Petryen. Er griff nach dem Prinzen, aber als er Teravians Arm berührte, flammte ein grüner Lichtblitz auf und ätzender Rauchgestank verbreitete sich in der Luft. Petryen kippte aus dem Sattel und fiel tot zu Boden.
Aryn betrachtete die Leiche. Also war die Magie, die sie in das Tuch gewebt hatte, doch vollständig gewesen – ein Todeszauber. Er hatte Petryen getötet, und obwohl Teravian sich dagegen wehrte, würde er auch ihn erwischen. Wie Mirda gesagt hatte, es gab eine Hexe, die mächtiger
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