Die letzte Rune 10 - Der Runenbrecher
als Teravian war.
Diese Hexe war Aryn.
Teravian kippte auf dem Sattel zurück. Er verdrehte die Augen.
»Hure!«, rief Ajhir, das Gesicht zu einer Fratze ungezügelten Zorns verzogen. »Mörderin. Was hast du ihm angetan? Nimm deinen Zauber zurück, oder ich erschlage dich!«
Er fuchtelte mit dem Schwert herum, aber Aryn ignorierte ihn. Ein neuer Aufschrei stieg von den Männern auf, die sich um Teravians Banner versammelt hatten; es war Bestürzung.
Aryn schaute nach oben. Der riesige Stier am Himmel flackerte wie etwas, das man durch die Oberfläche eines Sees hindurch sah. Die leuchtende Bestie warf ein letztes Mal den Kopf zurück, dann traf sie ein Windstoß und zerfetzte sie in zahllose Nebelschwaden, die schnell nach Westen trieben. Die Bestürzung verwandelte sich in Schreckensschreie. Männer warfen Schwerter und Speere zu Boden.
Teravian hatte den Stier erschaffen, aber jetzt versagte seine Magie zusammen mit seiner Lebenskraft. Er riss an dem Tuch, aber es saß eng um seinen Hals. Ajhir starrte Aryn an, dann den Prinzen, dann den Himmel, sichtlich unfähig, eine Entscheidung zu treffen, was er tun sollte. Aryn wusste, dass das ihre Chance war. Sie stellte sich vor, mit unsichtbaren Händen zuzugreifen, packte den Vorhang aus Magie, der hinter dem Prinzen hing, und riss ihn zur Seite.
Neue Rufe ertönten unter den Kriegern. Wie aus dem Nichts erschienen neununddreißig Frauen in grünen Umhängen hinter dem Prinzen. Die jungen Hexen schauten sich um, Entsetzen trat in ihre Gesichter, als ihnen bewusst wurde, dass der Verhüllungszauber gebrochen war. Aber Liendra, die von allen dem Prinzen am nächsten stand, zeigte pure Wut.
»Shemal!«, kreischte die blonde Hexe und drehte sich im Kreis. »Shemal, zeigt Euch!«
Ein Frösteln überfiel Aryn, und ihr Herz pochte, als ein Schatten dunkler wurde und wuchs, bis eine Gestalt in einer schwarzen Robe an seiner Stelle stand. Die Robe verschlang das Morgenlicht, und die Gestalt warf keinen Schatten. Den Formen nach zu urteilen, war es eine Frau, aber ihr Gesicht blieb von der Kapuze verhüllt.
Die Krieger, die zu Teravians Banner geeilt waren, drehten sich um und ergriffen die Flucht; das Feld wurde zu einem stürmischen Meer, auf dem sich Männer in alle Richtungen davonmachten.
Verrat!, riefen die Krieger. Verrat!
Liendra ging mit langsamen Schritten auf Aryns Pferd zu. »Du verkrüppeltes Miststück – du ruinierst alles.«
Trotz der Furcht in ihre Brust geriet Aryns Stimme nicht ins Schwanken. »Du bist hier diejenige, die ruiniert ist, Liendra. Das hast du dir vor langer Zeit angetan, als du dich der Finsternis verschworen hast.«
Einen Augenblick lang wurde der Hass in Liendras Augen durch etwas anderes ersetzt: durch Furcht. Dann verhärteten sich ihr Züge wieder, und sie wandte sich dem Wesen in Schwarz zu. »Haltet sie auf! Die widerliche kleine Hure tötet ihn. Schleudert den Zauber auf sie zurück.«
Shemal glitt vorwärts. Der Saum ihre Robe berührte den Boden nicht. »Eine solche Magie kann nicht gegen ihren Schöpfer gewendet werden. Wärst du nicht so schwach in der Gabe, wüsstest du das.«
Teravians Lippen hatten sich mittlerweile blau verfärbt. Er sackte auf seinem Sattel zusammen und hörte auf, sich zu wehren.
Jede Spur von Schönheit wich aus Liendras Gesicht und wurde durch die Hässlichkeit der Wut ersetzt. »Dann tut etwas anderes! Es ist mir egal, was es ist! Haltet sie bloß davon ab, ihn umzubringen!«
»Wie du wünschst«, zischte Shemals Stimme aus der Kapuze. Eine bleiche Hand schob sich aus dem Ärmel der Robe. Sie wackelte mit dem Finger, und Aryn sah voller Entsetzen zu, wie das Stickmuster auf dem Tuch verschwand, als hätte jemand die Fäden herausgezogen. Das Tuch war wieder weiß und ohne Verzierung. Teravian schnappte keuchend nach Luft und klammerte sich an der Mähne seines Pferdes fest. Seine Augen waren schmerzverschleiert, als er sie auf Aryn richtete, aber es lag Leben in ihnen. Der Zauber war gebrochen.
»Schwestern, helft mir!«
Der Schrei durchschnitt die Luft. Aryns Kopf fuhr zu Liendra herum. Also war der Zauber doch nicht gebrochen worden, sondern lediglich auf eine andere Person übertragen worden.
Das Stickmuster des Halstuchs erschien jetzt auf Liendras Gewand – in rasender Schnelle, wie von hundert Händen genäht. Sie hieb auf die Fäden, versuchte sie wegzuwischen, als wären sie Insekten, aber das war sinnlos. Das Muster wuchs, bis es komplett war. Liendras Augen quollen aus den
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