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Die letzte Rune 10 - Der Runenbrecher

Titel: Die letzte Rune 10 - Der Runenbrecher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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An diesem Tag erkannte Carson endlich die Wahrheit, und sie war noch schrecklicher als selbst seine finstersten Ängste. Die Große Stimme war nicht Gott, und sie war auch nicht Satan. Sie war jemand anderes. Realer, präsenter und mächtiger als alles, was sich die Herzen der Menschen jemals erträumt hatten.
    Es war nicht Gott.
    Es war ein Gott.
    Der Tag rückt näher, sagte die Große Stimme in der Nacht zu ihm, in der er auf der leeren Bühne der Stahlkathedrale stand und sich das Publikum vorstellte, das am nächsten Tag zum ersten Mal das Meer der Sitzreihen füllen würde. Bald wird sich das Tor öffnen, und ich werde diese erbärmliche Welt verlassen. Mein Exil wird vorbei sein, und ich werde zurückkehren. Die Welt wird unter meinen Schritten erbeben, und die Nacht wird für immer einkehren.
    Die Welt. Als die Stimme dieses Wort aussprach, erschien ein Bild in Carsons Verstand, aber er sah nicht die Welt, die er kannte, die Erde, sondern einen anderen Ort, der weit entfernt und doch seltsam nah war. Eine Welt der Möglichkeiten.
    Er fing an zu begreifen. Nicht vollständig; in diesem Augenblick begriff er, wie weit das alles über seinen Horizont ging. Und doch forschte er nach, wo er konnte, stellte den Agenten von Duratek so viele Fragen, wie er wagte. Er schmückte die Worte der Großen Stimme aus, die er an sie weitergeben sollte, flocht sogar kleine Lügen ein, um zu sehen, wie sie reagierten. Und so erfuhr er, dass er Recht hatte; die Welt, von der die Große Stimme sprach, war nicht diese Welt. Es war eine andere Welt, eine Welt, von der die Stimme stammte. Eine Welt, auf die Duratek wollte.
    Als er dies am Ende erfuhr, kam Carson der Gedanke, über die staubigen Ebenen nach Kansas zurück zu fliehen. Aber das war unmöglich. Er konnte sein Werk nicht aufgeben; ganz egal, wie er dazu gekommen war, er liebte seine Kathedrale und seine Anhänger. Davon abgesehen, wenn sie seine Zweifel spürten, würde alles vorbei sein. Sie würden ihn verlassen und jemand Neues finden, einen anderen Propheten, den sie an seine Stelle setzten.
    Oder sie würden einen Weg finden, ihn zum Gehorsam zu zwingen.
    Es hatte kurz nach dem Beginn seiner Predigten in der Stahlkathedrale angefangen. Deine Herde ist groß geworden, sagte die Große Stimme zu ihm. Es ist Zeit, dass du anfängst, dem, der dir deine Anhänger gebracht hat, auf dem Altar ein Lamm zu opfern.
    Zuerst waren es nur einer oder zwei gewesen. Carson sonderte sie mit Sorgfalt aus seiner Gemeinde aus. Er wählte die, die man vermutlich am wenigsten vermissen würde: die Obdachlosen, die Einsamen oder die Älteren, die von ihren Familien verlassen worden waren. Die Engel des Lichts kamen und führten sie fort.
    Er hatte schreckliche Angst, als die Engel das erste Mal kamen, aber die Große Stimme sagte ihm, dass er sich nicht fürchten musste. Trotzdem tat er es. Sie waren groß und wunderschön anzusehen, so dünn wie Weidengerten in den silbrigen Lichtauren, die ihnen folgten. Ihre Augen waren wie riesige Juwelen, und sie hatten keine Münder. Und sie hatten auch keine Flügel. Sollten Engel nicht Flügel haben?
    Carson wusste nicht, was mit den Menschen geschah, nachdem die Engel des Lichts sie fortgeholt hatten, zumindest zuerst nicht, aber als er sie wieder sah, waren sie … anders. Ihre Gesichter waren glatter, ruhiger. Härter. Ein inbrünstiges Funkeln leuchtete in ihren Augen.
    Ihre Herzen sind jetzt stark, sagte die Große Stimme zu Carson auf die Frage, was man mit ihnen gemacht hatte. Man hat ihnen ihre Zweifel genommen.
    Im Verlauf der Zeit gelangte Carson zu der Ansicht, dass man ihnen etwas anderes genommen hatte, etwas Warmes und Menschliches. Dann, eines Nachts, war er mutig genug, den Engeln des Lichts zu folgen. Er sah, was sie mit einem alten Obdachlosen in einer Kammer tief unter der Kathedrale machten, und er erfuhr die Wahrheit. Eisen. Man gab ihnen Herzen aus Eisen.
    Er war geflohen und hatte kein Wort darüber verloren. Er wagte es nicht, nicht, wenn er nicht wollte, dass die Engel des Lichts ihm seine Zweifel und sein Herz nahmen. Bald waren es nicht länger einer oder zwei, sondern drei oder vier oder fünf. Jeden Tag fragte die Große Stimme nach mehr, und jeden Tag wurde es schwieriger, in der Gemeinde Leute zu finden, die man nicht vermissen würde.
    Im Verlauf der letzten Woche war Carson langsam verzweifelt. Die Obdachlosen von Denver waren misstrauisch geworden; es gab nicht mehr genug, die man mit dem Versprechen auf

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