Die letzte Rune 10 - Der Runenbrecher
würden, um sich zu scharen und nach Denver zu gehen, dass er alles, was er brauchen würde, dort finden würde.
Carson verstand nicht, wie das sein konnte, aber er tat, wie man ihm befohlen hatte. Schnell erkannte er, dass alles, was ihm die Große Stimme sagte, der Wahrheit entsprach. Sie teilte ihm mit, dass Männer in Anzügen zu ihm ins Motel kommen und ihm das Geld geben würden, das er brauchte, und am nächsten Morgen geschah es so. Zu diesem Zeitpunkt sagte ihm der Name ihrer Firma nichts, auch wenn er ihn und ihr Mondsichel-Logo mittlerweile gut kannte. Sie waren Diener der Großen Stimme, genau wie er.
Für das Geld überbrachte er den Männern Botschaften von der Stimme. Die Männer in den Anzügen wussten über sie Bescheid, aber es fiel ihnen schwer, sie zu hören. Carson konnte dies kaum glauben, für ihn war die Stimme wie eine Trompete im Kopf. Aber es stimmte. Die Stimme sprach zu ihm, und er gab ihre Botschaft an andere weiter. Er war auserwählt. Er war ein Prophet.
Aber wessen Prophet? In den ersten Monaten, ja, in den ersten Jahren fiel der Glaube leicht, dass da Gott zu ihm sprach.
Wer bist du?, flehte er in die Dunkelheit, mit gefalteten Händen auf dem Boden kniend.
Ich bin das Ende, sagte der Stimme. Und ich bin der Anfang. Ich werde der Zerstörer aller Dinge sein. Und ich werde auch der Schöpfer aller Dinge sein.
Diese Worte erfüllten Carson mit Schrecken, aber sie ließen auch sein Blut schneller fließen. Die Welt war verfault und verdorben. Konnte man sie nicht nur auf die eine Weise säubern, indem man sie zerstörte und danach neu erschuf?
In Denver wuchs Carsons Gemeinde sehr schnell. Die Männer und Frauen in Anzügen und Kostümen, die von Duratek, stellten ihm einen Scheck nach dem anderen aus. Damit baute er eine Kirche, und die Anhänger strömten durch die Türen, um seine Predigten zu hören. Dann rief ihn der Besitzer einer der Fernsehsender Denvers an und gab ihm eine Show. Noch mehr Menschen traten durch die Türen seiner Kirche, Reiche und Arme, Junge und Alte, und sie alle suchten nach einer Antwort für die Leere in ihren Leben.
Bald war die Kirche zu klein, und er machte Pläne für eine Kathedrale, so gewaltig, dass sie den Bergen selbst Konkurrenz machen würde, und so stark, dass nichts ihre Fundamente erschüttern konnte – eine Kathedrale aus Stahl. Als er zu Duratek ging, verspürte er Furcht; er wusste, dass sie eine gewaltige Summe kosten würde. Aber die Rechtsanwälte von Duratek unterzeichneten die Schecks, und der Bau begann. Carson schalt sich selbst. Er hätte niemals zweifeln dürfen.
Aber tief in den geheimsten Abgründen seines Herzens zweifelte er. Die Zeit verging, die Kathedrale wuchs dem Himmel entgegen, und in ihm wuchs eine Furcht.
Es war alles so gut. Zu gut. Die Große Stimme gab ihm alles, was er immer gewollt hatte, eine große Herde, die ihm folgte, aber was wollte sie im Gegenzug haben? Er gab die Worte der Stimme regelmäßig an die Agenten des Duratek-Konzerns weiter, aber das konnte man kaum als Bürde bezeichnen. Genau wie die Stimme schienen sie nur sehr wenig von ihm zu wollen; sie baten ihn nicht einmal, für die von ihnen ausgestellten Schecks als Sponsoren seiner Show genannt zu werden. Es ergab keinen Sinn; sicherlich wollte die Stimme mehr von ihm. Aber wenn er sie fragte, erhielt er keine Antwort.
Schare deine Anhänger um dich. Das ist alles, was ich verlange.
Für den Augenblick, fügte Carson dann in Gedanken hinzu. Aber was würde die Stimme später als Gegenleistung für das verlangen, was sie ihm gewährt hatte? Diese Saat des Zweifels keimte in ihm auf und blühte wie eine dunkle Blume, und nach einiger Zeit kam ihm die Befürchtung, dass die Große Stimme nicht die Stimme Gottes war, sondern die Stimme Satans.
Es erschien unmöglich. Die Stimme in seinem Kopf war tief und uralt und wunderschön. Aber war Luzifer nicht der schönste aller Engel, bevor er aus dem Himmel verstoßen wurde? Lockte der Teufel nicht mit süßen Worten und Versprechungen? Er brachte Menschen nicht nur mit Feuer und Schwert zu ihm, sondern indem er ihnen das gab, was sie sich am meisten wünschten.
Über ein Jahr lang hatte Carson mit dieser Furcht gerungen, auch wenn er sich nichts anmerken ließ. Nicht einmal die Angehörigen seines innersten Kreises spürten seinen Zweifel.
Seine Show stieg in den Einschaltquoten, und der Bau der Stahlkathedrale ging nach Plan.
Schließlich war seine neue Kirche, sein neues Haus, vollendet.
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