Die Letzte Spur
unwirtlich und abweisend vor und das ganze Unternehmen verrückt und von Anfang an zum Scheitern verurteilt.
Sie blieb erneut stehen. Sie mochte sich nicht noch weiter vom Auto entfernen.
»Marc«, sagte sie, »wir sollten …«
Sie unterbrach sich, weil er sich zu ihr umwandte und sie voller Staunen zusah, wie sich sein Gesichtsausdruck veränderte, bevor er sie küsste. Es war ein beinahe flüchtiger Kuss, eigentlich nur ein kurzes, sanftes Berühren ihrer Lippen.
Er trat einen Schritt zurück. »Entschuldige«, sagte er, »das war … unmöglich.«
Sie starrte ihn noch immer an.
»Am besten …«, setzte er an, sprach aber nicht weiter und hob in einer hilflosen, entschuldigenden Geste beide Hände. »Ich hätte das nicht tun sollen.«
Sie fand endlich ihre Sprache wieder. »Es ist nur …«
»Ich weiß. Es ist unmöglich.«
»Nein, es ist …« Sie suchte nach Worten. »Also, ich bin nicht ärgerlich oder so. Wirklich nicht.«
Er stand vor ihr, grub seine beiden Hände nun tief in die Taschen seiner Jacke. Der kalte Wind hatte seine Wangen gerötet. »Ich weiß, dass du verheiratet bist. Einen Stiefsohn hast, der sich auf dich verlässt. Dass dein Lebensmittelpunkt nicht hier in England liegt. Ich weiß das alles. Trotzdem, schon den ganzen Morgen … immer, wenn ich dich ansehe …« Er ließ auch diesen Satz unvollendet, als sei es klar, was er zum Ausdruck bringen wollte.
Sie strich sich mit der Hand durch ihre zerzausten Haarwirbel, die durch den Wind noch mehr gelitten hatten. Sie dachte an ihre ungeschminkten Augen, an ihr Gesicht, das sicherlich den Ausdruck von Müdigkeit nach einer halb durchwachten Nacht zeigte.
»Ausgerechnet heute«, sagte sie, »ausgerechnet heute sehe ich so … schrecklich aus!«
»Ausgerechnet heute«, sagte Marc, »siehst du so jung aus.«
Er nahm sie in die Arme und küsste sie erneut, länger und weit weniger unschuldig als zuvor, und diesmal erwiderte sie seinen Kuss und seine Umarmung und verlor sich für einige Augenblicke daran, verlor sich so weit, dass sie sekundenlang nicht an Dennis dachte, nicht an Rob, nicht an Gibraltar, nicht an ihr eigentliches Leben.
Als sie sich Minuten später voneinander lösten, war alles um sie herum wie vorher, der noch winterlich scheinende Strand, die grelle Frühlingssonne, der eisige Wind.
Die Frage war, ob sich in ihnen und ihrer beider Leben etwas verändert hatte.
Nur, wenn wir es zulassen, dachte Rosanna.
»Meine Entschuldigung war ganz offensichtlich so wenig wert«, sagte Marc, »dass ich diesmal gar nicht erst behaupte, es tue mir leid. Es wäre ohnehin gelogen.«
»Wofür solltest du dich auch entschuldigen?«, fragte Rosanna. »Ich wollte das genauso wie du. Aber natürlich… kann es Probleme geben, wenn wir … wenn wir weiter gehen. «
»Tja«, sagte er unbestimmt.
Sie standen einander gegenüber. Auf bedrückende Weise wurde Rosanna klar, dass der schwarze Peter bei ihr lag. Marc war frei. Sie nicht.
»Mir ist kalt«, sagte sie schließlich. Es war eine einigermaßen unverfängliche Bemerkung, und sie stimmte. »Können wir zum Auto zurückgehen? Und irgendwohin fahren, wo wir einen heißen Kaffee bekommen?«
»Natürlich«, sagte Marc sofort. »Nichts weckt die Lebensgeister besser als ein heißer Kaffee.«
Rosanna musste plötzlich lachen, wenn sie auch den Eindruck hatte, dass in diesem Lachen jede Menge Ratlosigkeit schwang. »Ich hatte gar nicht den Eindruck, dass unsere Lebensgeister so schwach dahindümpelten«, meinte sie.
Er nahm ihre Hand, als sie zurückgingen, und sie hatte keine Lust, sie ihm zu entziehen. Wozu auch? Sie hatten mehr getan, als einander nur an der Hand zu halten. Ihre Küsse machte sie nicht ungeschehen, indem sie jetzt auf Abstand zu ihm ging.
Sie waren viel weiter gelaufen, als sie gemerkt hatte, und es dauerte lange, bis sie die kleine Parkbucht am Rand der einsamen Landstraße erreichten, in der ihr Auto stand. Rosanna sank erleichtert in ihren Sitz. Marc ließ den Motor an und drehte sofort die Heizung hoch.
»Dauert ein bisschen. Aber gleich wird es warm.« Er machte keine Anstalten, loszufahren.
»Was ist?«, fragte Rosanna.
Er zögerte. »Ich glaube, du bist es«, sagte er schließlich, »du bist der Grund, weshalb ich Elaine gern finden und ihr Auge in Auge gegenüberstehen würde. Ich weiß, dass ich sie nicht auf dem Gewissen habe, aber ich würde viel darum geben, wenn auch in dir nicht mehr der Schatten eines Zweifels daran bestünde.«
»Aber ich
Weitere Kostenlose Bücher