Die Letzte Spur
Wir haben jetzt eine echte Spur. Wenn es nicht Malikowski selbst war, dann vielleicht jemand aus seinem Umfeld. Und wir haben jetzt ziemlich gute Karten, um den Typen zu erwischen!«
6
Marina kehrte gegen halb fünf von ihrer Fahrradtour zurück und fand, dass sie sich tapfer geschlagen hatte. Gegen elf am Vormittag war sie schließlich aufgebrochen, nachdem sie gefrühstückt, ausgiebig geduscht und im Haus dieses und jenes aufgeräumt und geordnet hatte. Schließlich hatte sie sich aufgerafft und war noch einmal in die Garage gegangen, neugierig, ob das seltsame Gefühl vom frühen Morgen sie noch einmal befallen würde. Diesmal jedoch hatte sie nicht den Eindruck, von irgendjemandem beobachtet zu werden, und so hatte sie jenes eigenartige Erlebnis – das, wie sie sich sagte, eigentlich gar kein Erlebnis gewesen war – schließlich endgültig abgehakt.
Von der Siedlung aus, in der sie lebte, gelangte man sehr rasch hinaus in eine ländliche Umgebung. Wie in vielen Großstädten waren auch in London die Übergänge zwischen Hochhäusern, Menschenmassen, brodelndem Verkehr einerseits und weiten Feldern, Wäldern und kleinen Dörfern andererseits manchmal jäh und seltsam abrupt. Marina hatte sich bald auf einer schmalen Landstraße befunden, die an einem Kanal, dessen Ufer links und rechts zu grasbewachsenen Dämmen aufgeschüttet waren, entlangführte. Es war ein gemütliches Dahingleiten, unterbrochen nur von ein paar unwesentlichen Steigungen und selten gestört von einem Auto. Dafür waren jede Menge anderer Radfahrer unterwegs, und natürlich, wie Marina schon befürchtet hatte, hauptsächlich Familien. Oder Paare. Sie traf nicht eine einzige einsame Frau, die so wie sie mutterseelenallein in der Gegend herumradelte. Die Welt war seltsam, fand sie. Die Medien berichteten von der Singlegesellschaft, in der man lebte und die, glaubte man Zeitungen und Fernsehen, zunehmend aus karrierebewussten, erfolgreichen, aber alleinstehenden Frauen und Männern zwischen dreißig und fünfzig bestand. Verließ man dann jedoch an einem sonnigen Vorfrühlingstag die eigenen vier Wände, so stieß man überall auf glückliche Familien, in denen sich mindestens drei Kinder tummelten.
Oder bin nur ich so blöd, hier entlangzuradeln?, fragte sie sich. Tun sich all die anderen Singles so etwas Dummes einfach gar nicht erst an? Bleiben sie entweder daheim oder gehen irgendwohin, wo man sicher ist vor all den glücklichen Familien und verliebten Paaren?
In einem Dorfgasthof hatte sie ein spätes Mittagessen zu sich genommen, obwohl sie es hasste, allein in einem Restaurant zu sitzen. Aber sie hatte Hunger und musste außerdem die Toilette benutzen. Als sie sich auf den Heimweg machte, stand die Sonne schon tief, und es war deutlich kälter geworden. Sie trat kräftig in die Pedale. Der Wind spielte in ihren Haaren, und die klare, frische Luft tat ihren Lungen gut. Es war schön, den ganzen Tag in Bewegung zu sein. Noch schöner wäre es, sich daheim nun zu zweit vor den Kamin zu setzen, ein Glas Wein zu trinken und sich auf den gemeinsamen Abend zu freuen.
Sie stellte ihr Fahrrad in der Garage ab und bemerkte das Ziehen in den Oberschenkeln, als sie zum Haus hinüberging. Morgen würde sie einen schmerzhaften Muskelkater haben. Gut so. Er würde sie wenigstens die ganze Woche über an ihre heroische sportliche Leistung vom Sonntag erinnern.
Sie schloss die Haustür auf und trat in den schmalen Flur, von dem rechts unmittelbar die gewundene Treppe nach oben führte.
»Ich bin wieder da!«, rief sie, obwohl niemand sie hören konnte. Sie würde sich jetzt eben allein ein Feuer im Kamin anzünden und eine Flasche entkorken. Sie wusste, dass der Alkohol schon zu sehr die Funktion eines Seelentrösters in ihrem Leben übernommen hatte, aber für den Moment sah sie keinen Weg aus diesem Problem.
Sie ging in die Küche, die nach hinten zum Garten hinaus lag. Eine altmodische Küche mit weiß lackierten Schränken und Möbeln, einem kleinen Sprossenfenster, vor dem blaue Gardinen hingen, und einer Tür, die in den Garten führte. Die Stufen dahinter waren so wackelig, dass es inzwischen fast lebensgefährlich war, sie hinunterzusteigen, weshalb Marina seit einiger Zeit den Garten nur noch durch das nebenan gelegene Esszimmer betrat. Gewohnheitsmäßig prüfte sie die Küchentür jedoch kurz und erschrak: Sie war nicht verschlossen.
»Verdammt«, fluchte sie leise. »Schon wieder!« Sie drehte den Schlüssel um und schob den
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