Die Letzte Spur
Sie nahm den Hörer auf. »Ja? Hallo?«
Es war tatsächlich Dawn. Ihre aufgeregte Stimme klang unnatürlich hell.
»Angela? Bist du es?«
»Ja. Was ist denn los?«
»Ich hab ihn gesehen!« Dawn quiekte fast. »Ich hab ihn gesehen! Lindas Freund. Ich bin mir ganz sicher. Und diesmal habe ich ihn mir ganz genau angeschaut!«
»Es war an fast derselben Stelle wie beim letzten Mal«, sprudelte Dawn los, als sie und Angela Inspector Fielder gegenübersaßen. Fielder hatte seinen Sonntag unterbrochen und war in sein Büro bei Scotland Yard gekommen. Er hatte noch ein wenig Tomatensoße in den Mundwinkeln, und Angela vermutete, dass es bei den Fielders Nudeln zum Mittagessen gegeben hatte. »Ganz nah bei dem Woolworth. Er saß auf dem Platz davor, auf dem Brunnenrand. Wenn dort richtig viel los gewesen wäre, hätte ich ihn wahrscheinlich gar nicht entdeckt. Aber heute ist ja das Kaufhaus geschlossen, und es liefen nur wenige Leute herum. Nur solche wie ich, die sich sonntags tödlich langweilen und einfach ziellos ein bisschen in der Stadt herumwandern.«
»Er saß auf dem Brunnenrand?«, fragte Fielder. »Könnte es sein, dass er immer noch… ?«
Dawn schüttelte bedauernd den Kopf. »Er stand gerade auf, als ich kam. Ich habe ihn in einer der Straßen verschwinden sehen.«
»Hat er Sie erkannt? Ist er deswegen…?«
»Ich glaube nicht. So wirkte er nicht. Er hat auch nicht zu mir herübergeschaut. Er hatte sich einfach ein paar Minuten lang die Sonne aufs Gesicht scheinen lassen und ist dann weitergeschlendert. So hatte es jedenfalls den Anschein.«
Fielder zündete sich eine Zigarette an, nachdem er den beiden Frauen das Päckchen hingehalten hatte und abschlägig beschieden worden war.
»Miss Sparks, Sie waren gestern bei einigen Kandidaten in unserer Kartei etwas unsicher. Würden Sie vielleicht noch einmal hineinschauen? Die Chance, jemanden zu erkennen, hat sich bestimmt vergrößert.«
Dawn nickte eifrig. »Wenn er da drin ist, finde ich ihn. Ich habe ihn mir jetzt ganz genau eingeprägt. Meine Güte, bestimmt wohnt er in der Ecke! Wer weiß, wie oft ich ihm in den letzten Monaten begegnet bin, ohne ihn zu beachten!«
Eine Viertelstunde später hatte sie ihn entdeckt.
»Das ist er«, sagte sie mit Bestimmtheit und deutete auf die brutale Visage eines dunkelhaarigen Mannes, dem keiner der Anwesenden allein im Dunkeln hätte begegnen mögen. »Hundert Prozent! Das ist er!«
»Ronald Malikowski«, sagte Fielder langsam, »sieh an!«
Angela betrachtete schaudernd das Gesicht des einstigen Freundes ihrer toten Schwester. Wie, um Himmels willen, hatte sich Linda mit einem solchen Typen einlassen können? Das Kriminelle in seinem Wesen sprang jeden Betrachter so deutlich an, dass kaum jemand hätte glauben können, ungeschoren davonzukommen, wenn er sich in den Dunstkreis eines solchen Menschen begab. Geschweige denn, zu seiner Geliebten wurde.
»Mein Gott!«, sagte sie unwillkürlich.
»Ja, ein feiner Bursche«, bestätigte Fielder. »Mehrfach vorbestraft. Rauschgift, Zuhälterei, Erpressung… Er war in eine Menge unsauberer Geschäfte verwickelt. Er geriet immer wieder an ziemlich liberale Richter – leider! Meiner Ansicht nach gehört ein Kerl wie er hinter Gitter, und zwar für eine lange Zeit!«
»Hatten Sie mit ihm zu tun?«, fragte Angela.
»Mehr als einmal«, knurrte Fielder, »und ich wäre nur zu glücklich, ihn endlich richtig zu fassen zu kriegen.«
»Zuhälterei!«, wiederholte Angela. »Das würde doch zu dem Fall Jane French passen! Schließlich arbeitete sie als Prostituierte!«
Fielder kratzte sich am Kopf. »Das stimmt. Allerdings …«, er hielt inne. Die beiden Frauen blickten ihn erwartungsvoll an.
»Malikowski ist ein Stück Scheiße«, sagte Fielder mit größter Direktheit, »ein absolut widerlicher Mistkerl mit einiger Gewaltbereitschaft. Das stimmt. Aber soweit ich das beurteilen kann, und ich habe einige Erfahrung, ist er kein Psychopath. Dieses stundenlange gezielte Foltern, dem Jane French und auch Linda Biggs zum Opfer gefallen sind, ohne dass offenbar mit diesen Folterungen ein Ziel verbunden wurde – das vermag ich mit meinen Erkenntnissen über Malikowski nicht recht in Einklang zu bringen.
Ich hätte auch geschworen, dass er sich immer vor einem Mord hüten würde.«
»Ja, meinen Sie denn nicht …?«, fragte Dawn enttäuscht.
Fielder lächelte ihr ermutigend zu. »Wir finden das heraus«, versprach er. »Sie haben uns wirklich sehr geholfen, Miss Sparks.
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