Die Letzte Spur
dieser Situation ausgesetzt hatte, die sich erdreistete, in seinem Leben herumzupfuschen, die sich anmaßte, Schicksal für andere zu spielen und sich dabei einen Dreck um die Folgen für die Betroffenen zu scheren. Das war so typisch für sie, ebenso wie für ihren Bruder, für diese beiden arroganten, gleichgültigen Jones-Geschwister. Gleichgültig jedenfalls, wenn es um echte Not, wirkliche Sorgen anderer Menschen ging. Wenn sie für ihre eigenen Belange fochten – wie Rosanna jetzt offenbar im Zusammenhang mit dem Schönling Reeve – konnten sie sehr aktiv und einfallsreich werden.
Am allermeisten erboste ihn die Tatsache, dass man ihm von all dem gar nichts hatte mitteilen wollen. Es bestätigte ihn zudem in der Überzeugung, dass ein krummes Ding geplant wurde. Rosanna hatte ihm kein Sterbenswörtchen von der neuen Spur verraten, und Cedric hatte es auch nicht vorgehabt, so viel war ihm gestern durchaus klar geworden. Er hatte sich in die Enge getrieben gefühlt und ihm rasch einen Brotkrumen hinwerfen wollen, um ihn abzulenken, aber vermutlich bereute er seine Geschwätzigkeit jetzt schon tief. Rosanna, die die ausgefuchstere von beiden war, würde ihn ganz schön zur Schnecke machen, wenn sie davon erfuhr. Geschah ihm ganz recht.
In den frühen Morgenstunden hatte Geoffs Plan festgestanden. Er würde sich nicht ausbooten, in die Ecke stellen und zur Passivität verurteilen lassen, nicht von Typen wie Rosanna und Cedric. Auch wenn er seinen verdammten Körper nicht bewegen konnte, sein Kopf arbeitete noch, und er war durchaus in der Lage, auf seine Art aktiv zu werden. Er würde einfach andere Menschen instrumentalisieren, die in Northumberland forschen und Rosannas Pläne, wie immer sie aussehen mochten, vereiteln würden. Wer war dafür geeigneter als die Fernsehjournalistin Lee Pearce, die den Fall gerade als Thema ihrer Sendung behandelt hatte? Und sicher nicht abgeneigt war, Rosanna Hamilton eins auszuwischen.
Die Stimme der Dame aus der Zentrale klang unvermittelt wieder an sein Ohr. »Ich stelle durch«, sagte sie gelangweilt.
Es klickte in der Leitung.
»Hallo?«, sagte eine andere weibliche Stimme, immerhin deutlich freundlicher und fröhlicher.
»Äh … hallo«, sagte Geoff, »hier ist Geoffrey Dawson.« Er machte eine Pause, in der Hoffnung, dass der Name der Person am anderen Ende der Leitung schon etwas sagte. Immerhin war der Fall Dawson Thema der letzten Sendung gewesen. Aber es schien nicht so, als zucke seine Gesprächspartnerin wie elektrisiert zusammen.
»Was kann ich für Sie tun, Mr. Dawson?«, fragte sie unverändert freundlich.
Es ist einfach eine zu schnelllebige Zeit, dachte Geoff, die bereiten jetzt schon die nächste Sendung vor und wissen kaum noch, womit sie sich zwei Tage zuvor beschäftigt haben.
Er hatte sich kein wirkliches Konzept zurechtgelegt, vor allem auch deshalb, weil er in erster Linie um die Frage gekreist war, ob er es bewerkstelligen könnte, überhaupt ein halbwegs ungestörtes Gespräch zu führen.
Jetzt sprang er einfach mitten hinein.
»Ich hätte gerne Mrs. Lee Pearce gesprochen«, bat er kühn.
»Worum geht es denn bitte?«
»Mein Name ist Dawson«, wiederholte er mit Nachdruck, »ich bin der Bruder von Elaine Dawson. Erinnern Sie sich? Elaine Dawson war Thema in Private Talk am vergangenen Freitag. Eines der Themen«, setzte er hinzu.
»Richtig, jetzt kann ich den Namen einordnen«, sagte die andere immer noch fröhlich, wobei er sich fragte, was an der ganzen Geschichte Anlass zu solch penetranter Fröhlichkeit gab. »Was genau möchten Sie mit Mrs. Pearce besprechen?«
Immerhin hatte sie ihn nicht gleich mit der Auskunft abgewimmelt, dass Mrs. Pearce nicht da sei. Was darauf schließen ließ, dass sich die Moderatorin im Sender aufhielt und er eine echte Chance hatte, mit ihr ins Gespräch zu kommen, wenn es ihm gelang, diese Frohnatur an seinem Ohr von der eben dahingehenden Notwendigkeit zu überzeugen.
»Es hat sich aufgrund der Sendung eine sehr interessante neue Spur ergeben«, erklärte er. »Es gibt einen Hinweis, dass meine Schwester noch lebt.«
»Dann sollten Sie sich damit vielleicht an die Polizei wenden.«
»Die Polizei ist an dem Fall schon lange nicht mehr interessiert. Ich glaube nicht, dass sie die Grafschaft Northumberland wegen eines einzigen Hinweises umgraben werden.«
Vom anderen Ende der Leitung kam ein kaum hörbares Seufzen. »Mr. Dawson, ich sehe nicht, wie Mrs. Pearce Ihnen helfen könnte.«
»Es geht um
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