Die Letzte Spur
seinem Geburtstag ein paar Fotos des Kleinen geschickt, und sie hatte ihm geantwortet, er solle das nicht mehr tun, sie wolle dieses Kapitel ihres Lebens endgültig abschließen. Daraufhin harte Dennis sich nie mehr gemeldet. Ihr war klar gewesen, dass er sie für die gefühlloseste Mutter aller Zeiten hielt, aber sie hatte auch gewusst, dass sie mit der Tatsache, einen Sohn zu haben und ihn nicht in ihr Leben integrieren zu können, nicht anders umgehen konnte.
Acht Jahre. Roben musste die Adresse lange mit sich herumgetragen haben.
»Und du bist einfach zum Flughafen gegangen, hast ein Ticket gekauft und bist nach London geflogen?«, fragte sie. Sie fand, dies war eine erstaunlich selbstständige Handlungsweise für einen Sechzehnjährigen.
Er nickte, betont cool, aber sichtlich auch ein wenig stolz.
»So ähnlich. Ich habe ein elektronisches Ticket übers Internet gebucht. Musste ich mir am Flughafen nur noch ausdrucken lassen.«
»Wie hast du es bezahlt?«
Er sah gleich nicht mehr so selbstbewusst aus. »Mit Dads Kreditkarte. Ich gebe ihm aber alles zurück. Ich habe Geld auf meinem Sparbuch.«
»Die Karte brauchtest du dann aber am Flughafen. Das heißt, du bist mitsamt der Kreditkarte deines Vaters durchgebrannt.«
»Ich habe mir aber kein Geld mehr abgehoben. Ehrlich nicht. Ich hatte nur Angst, dass die mir kein Ticket verkaufen, wenn die sehen, dass ich erst sechzehn bin, und deshalb …« Er ließ die angefangene Erklärung unbeendet.
»Ganz schön clever«, sagte Marina, weil ihr nichts anderes dazu einfiel.
Robert schaute an ihr vorbei in die Flammen des Kaminfeuers. »Ich möchte nicht mehr zu Dad zurück. Es funktioniert nicht zwischen uns.«
»Was genau ist denn vorgefallen?«
»Eigentlich fällt dauernd etwas vor«, sagte Robert. »Er motzt nur an mir herum. Nichts findet er an mir in Ordnung. Nichts darf ich machen. Am liebsten würde er mich einsperren. Jetzt war es eine Party. Schulfeier der Abschlussklasse. Da gehen alle hin. Nur ich durfte mal wieder nicht. Weil es da Alkohol gibt, und Dad meint, ich steige hinterher mit irgendwem ins Auto und lasse mich an einen Baum fahren. Mann, als ob ich blöd wäre!« Er blickte Marina herausfordernd an.
»Statt zur Party bist du dann zum Flughafen gefahren«, folgerte sie.
»Weil ich mir das nicht mehr gefallen lasse. Im nächsten Herbst werde ich siebzehn! Wie lange will er mich denn noch als Baby behandeln? Und außerdem ist jetzt auch noch …« Er stockte.
»Was?«, fragte Marina.
»Rosanna ist weg. Jetzt ist es gar nicht mehr auszuhalten. «
»Rosanna?«
Robert schien überrascht. »Wusstest du nicht, dass Dad geheiratet hat?«
»Nein. Nein, davon hat er mir nichts geschrieben. Aber wir hatten ohnehin keinen Kontakt.«
»Also, vor fünf Jahren war das. Und Rosanna ist wirklich klasse. Viel offener als Dad, viel großzügiger. Meistens steht sie auf meiner Seite. Sie ist wirklich cool.«
»Und warum ist sie jetzt weg?«
»Sie war früher Journalistin. Sie hat jetzt einen Auftrag in England angenommen.«
»Aber dann kommt sie doch wieder!« Er sah sie an. »Nein. Ich glaube nicht.« »Weshalb glaubst du das?«
»Zwischen ihr und Dad stimmt es einfach nicht mehr. Sie streiten ständig. Und Rosanna ist unglücklich in Gibraltar. Sie ist unglücklich mit Dad.«
»Vielleicht wirkt das auf dich so. Vielleicht sehen aber dein Dad und Rosanna das ganz anders. Außerdem gibt es manchmal Phasen, in denen sich ein Paar nicht so gut versteht, und später funktioniert es dann doch wieder.«
Er schüttelte den Kopf. »Nein. So ist das bei denen nicht.« Übergangslos fragte er: »Bist du verheiratet?«
»Ich bin geschieden.«
»Siehst du. Manchmal kommt es eben nicht wieder in Ordnung«, sagte Robert.
»Das war eine ganz andere Geschichte. Hör zu, Robert, wie ich schon sagte: Ich muss deinen Vater anrufen. Er muss wissen, wo du bist.«
»Aber …«
»Ich mache mich sonst strafbar.« »Aber du bist meine Mutter.«
»Er hat aber das Sorgerecht. Abgesehen davon: Ich denke nicht, dass er es verdient hat, in solch eine Angst und Ungewissheit gestürzt zu werden. Das ist nicht in Ordnung. Ganz gleich, welche Probleme du mit ihm hast.«
Robert machte ein unzufriedenes Gesicht. »Ich möchte aber nicht zu ihm zurück.«
»Robert, du gehst doch dort zur Schule. Du hast deine Freunde da, dein ganzes Leben… du kannst nicht einfach so aussteigen. Nur weil dein Dad der Ansicht ist, du bist zu jung für Partys, auf denen Alkohol ausgeschenkt
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