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Die Letzte Spur

Die Letzte Spur

Titel: Die Letzte Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Tage unter veränderten Voraussetzungen bei mir bleiben möchtest, oder ob wir gleich einen Flug buchen sollen.«
    Jetzt endlich wandte er ihr sein Gesicht zu. Er war sehr blass. »Ich möchte zu Rosanna«, sagte er.

4
     
    Diesmal waren das Clubhaus wie das danebenliegende Haus – in dem der Bootsmann wohnte, wie Marc erklärte – völlig verlassen. Nicht einmal die Putzfrau machte sich dort zu schaffen, kein Auto parkte auf dem Parkplatz, kein Fahrrad lehnte am Zaun. In der Stille des winterlichen Vormittags waren nur die Rufe einiger Wasservögel zu hören. Jenseits des Flusses schob sich die Sonne den Horizont hinauf, zerteilte mit ihren Strahlen letzte feine Wolkenschleier am Himmel. Ab und zu strich ein Windhauch über die Wellen, dann bewegten sich die Boote entlang der beiden Stege.
    »Unverändert«, sagte Marc. Er war ein Stück oberhalb der Gebäude auf dem sandigen Weg, der zum Ufer hinunterführte, stehen geblieben und betrachtete das Stillleben, das vor ihm lag. »Als wäre kein Tag vergangen. Es riecht sogar noch genauso wie früher.«
    Rosanna, die schräg hinter ihm stand, versuchte, die Szene mit seinen Augen zu sehen. Dachte er an unbeschwerte Wochenenden, die er einst mit Frau und Sohn hier verbracht hatte? Sah er sie alle drei vor sich, wie sie das Boot fertig machten? Josh, in Shorts und T-Shirt, fröhlich und glücklich, beide Eltern um sich zu haben. Die schöne Jacqueline, die wahrscheinlich mit einem Sortiment Bleistifte und Zeichenhefte an Bord ging, um Bilder und Stimmungen anzufangen und in Skizzen festzuhalten. Er selbst, Marc, der sich auf ein paar entspannte Stunden freute.
    Aber vielleicht war es so gar nicht gewesen. Vielleicht waren auch harmlose gemeinsame Wochenendunternehmungen von Streit und Anschuldigungen überschattet gewesen. Vielleicht hatte Jacqueline auch auf dem Schiff nicht aufgehört, Verdächtigungen auszusprechen und Vorhaltungen zu machen. Vielleicht waren es keineswegs fröhliche Bilder, die Marc vor sich sah.
    »Wann warst du zuletzt hier?«, fragte sie.
    Er überlegte. »Ich glaube, das war schon eine ganze Weile vor unserer Trennung. Die Wochenenden hier im Club fielen auch nach und nach meiner Arbeitswut zum Opfer, außerdem funktionierte es in unserer Ehe immer schlechter. Jacqueline war schließlich meist nur noch allein mit Josh hier.«
    »Hast du es vermisst? Das Boot? Die Freunde?«
    »Nach der Trennung habe ich nur noch Josh vermisst. Für etwas anderes war gar kein Raum.«
    Sie gingen den Weg weiter hinunter. Der Geruch des Wassers wurde stärker. Marc atmete tief. Er hatte die Macht der Erinnerungen, die ihn an diesem Ort befielen, unterschätzt. Er fand es anstrengend, hier zu sein. Josh hatte das Spielen am Fluss geliebt. Er sah ihn vor sich, wie er Kanäle anlegte, Staudämme baute, ganze Städte aus Erde und Lehm entlang der Böschung entstehen ließ – schnaufend vor Eifer, die Zunge zwischen die Zähne geschoben.
    Manchmal hatte sein Vater ihm geholfen, in jenen seltenen Sternstunden, die Beruf und Karriere zuließen.
    Er fragte sich, ob Josh an jene Stunden dachte, und ob er es mit einem guten Gefühl tat. Oder waren sie untergegangen und verschwunden in der Erinnerung an einen Vater, der von Termin zu Termin eilte und sich kaum ansprechen ließ – einen Vater, der diese Bezeichnung nicht verdient hatte?
    Er wandte sich zu Rosanna um und bemerkte, dass sie ein Stück zurückgeblieben war, ihr Handy am Ohr hatte und mit jemandem sprach. Er hatte das Klingeln nicht gehört, aber er war auch ganz versunken gewesen in eigene Gedanken. Er betrachtete sie. Die Nacht hatte ihr gutgetan, es ging ihr besser als am Vorabend. Sie hatte am Morgen kein Fieber mehr gehabt. Ihm wäre es lieber gewesen, sie hätte den Plan, noch einmal nach Wiltonfield zu kommen, fallen gelassen. Er wünschte, sie würde sich von der ganzen Elaine-Geschichte endlich verabschieden. Wenn es eine gemeinsame Zukunft für sie beide geben sollte, mussten sie Ruhe finden, ohnehin gab es genug Probleme, die auf sie zukommen würden.
    Aber vielleicht, dachte er plötzlich, spielt auch gerade das eine Rolle. Das Bewusstsein, welche Hindernisse vor uns liegen. Sie ist verheiratet, und der Gedanke an die Klärung dieser ganzen Situation liegt wahrscheinlich als Zentnergewicht auf ihrer Brust. Solange sie sich mit Elaine beschäftigt, kann sie der Notwendigkeit, sich dieser Last zu stellen, eher ausweichen.
    Sie hatte das Gespräch beendet und kam auf ihn zu. Sie sah bedrückt

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