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Die Letzte Spur

Die Letzte Spur

Titel: Die Letzte Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Körper hin.
    »Hallo?«, flüsterte sie und kam sich gleich darauf schrecklich albern vor.
    Natürlich kam keinerlei Reaktion. Sie stand jetzt direkt neben dem misshandelten Körper und musste einen heftigen Brechreiz unterdrücken. Es gab keinen Gestank, nichts dergleichen, aber das Bild war zu schlimm, und irgendwie ein Teil davon zu sein in dieser erschreckenden Einsamkeit, das trübe Wasser über den lehmverschmierten Stiefeln, dem kalten Regen ausgeliefert, überstieg Georginas Nervenkraft. Sie würgte, dann beugte sie sich langsam, mit den steifen Bewegungen einer alten Frau, hinunter, griff mit beiden Händen um den Kopf des Mädchens und hob ihn an, drehte ihn zu sich um.
    Ein pilzförmiger, weißer Schaum quoll aus der Nase und aus den leicht geöffneten Lippen. Ein verschwollenes, blutverkrustetes Gesicht. Blicklose Augen.
    Das Mädchen war tot.
    Georgina ließ sie ins Wasser zurücksinken, drehte sich um und erbrach sich ins Schilf, wieder und wieder, bis nur noch bittere Galle kam, dann stolperte sie vom Ufer weg auf die Lichtung, und als Bluebird ihren inzwischen nur noch schwach und heiser hervorgebrachten Rufen noch immer nicht Folge leistete, entsann sie sich der Leine, die sie um den Hals gelegt trug. Sie schwankte zurück, befestigte den Karabiner am Halsband des Hundes und zerrte so heftig, dass Bluebird, der eine solch grobe Behandlung nicht gewohnt war, ohne weiteren Widerstand verwirrt folgte.
    »Wir müssen weg«, flüsterte sie, »wir müssen so schnell wie möglich weg hier!«
    Sie hasteten zum Wald. Zu Georginas Erleichterung übernahm Bluebird die Führung und schien keine Sekunde zu zögern, welchen Weg er einschlagen sollte.
    Der Regen wurde heftiger und vermischte sich mit den Tränen, die Georgina über das Gesicht strömten, ohne dass sie es merkte.
    Auf dem Weg zum U-Bahnhof Sloane Square, der nicht weit von Mr. Halls Haus lag, holte Rosanna ihr Handy aus der Tasche und stellte fest, dass sie einen Anruf erhalten hatte. Die angezeigte Nummer kam ihr vage bekannt vor, und ihr Verdacht, um wen es sich bei dem Anrufer handeln könnte, bestätigte sich bei einem Blick in ihre Unterlagen.
    Sie fluchte. Marc Reeve. Ausgerechnet seinen Rückruf hatte sie überhört, hatte ihn offensichtlich während Mr. Halls lautstark vorgetragenen Ausführungen verpasst. Sie war schon zu lange nicht mehr im Job, sonst hätte sie daran gedacht, das Handy aus der Tasche zu nehmen und vor sich auf den Tisch zu legen.
    Angesichts des Regens überlegte sie kurz, ob sie in die U-Bahnstation flüchten sollte, ehe sie Reeve anrief, entschied sich aber dagegen. Zwar war es dort trocken, aber zugleich voller Menschen, und sie würde jede Menge Mithörer haben. Hier, am Ende der kleinen Seitenstraße, stand sie zwar im strömenden Regen, aber dafür ließ sich weit und breit keine Seele blicken. Nass war sie ohnehin schon, es kam also fast nicht mehr darauf an.
    Wieder meldete sich Reeve beim zweiten Klingeln.
    »Mrs. Hamilton«, sagte er. Offenbar konnte er ihre Kennung inzwischen auch auf Anhieb identifizieren.
    »Sie hatten mich angerufen, Mr. Reeve. Ich bin gerade in der Stadt unterwegs und habe das Telefon nicht gehört.« Sie verschwieg, dass sie vor seiner früheren Adresse stand und soeben von seinem ehemaligen Nachbarn etliche intime Details über sein Privatleben erfahren hatte. Als vertrauensbildende Maßnahme wäre ein Hinweis darauf sicher völlig ungeeignet.
    »Wir hatten vereinbart, dass ich mich noch einmal wegen Ihrer gestrigen Anfrage melde«, sagte Reeve, »und ich möchte Ihnen sagen, dass es mir leidtut, dass sich an meiner Einstellung jedoch nichts geändert hat. Ich habe kein Interesse daran, noch einmal mit dieser ganzen Geschichte in Verbindung gebracht zu werden. Vielleicht können Sie das verstehen.«
    Das Problem war, dass sie ihn nur zu gut verstand, dass es aber nicht in ihrem Interesse lag, ihn in Ruhe zu lassen. Blitzartig entschied sie sich für eine andere Strategie, und zwar für die der ganz und gar offenen Karten.
    »Mr. Reeve, das kann ich sehr gut verstehen«, sagte sie hastig, »wirklich, und bitte glauben Sie mir, die Rolle der nervtötenden Reporterin, die Sie so heftig bedrängt, behagt mir überhaupt nicht. Es ist nur so … ich habe Ihnen gestern nicht alles über meine … meine Motive gesagt.«
    »Über Ihre Motive?«
    »Ich … es stimmt alles, mit der Serie und so weiter … aber es gibt einen Grund, weshalb man gerade mich ausgewählt hat, sie zu schreiben, obwohl

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