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Die Letzte Spur

Die Letzte Spur

Titel: Die Letzte Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Preis. Am frühen Morgen hatte er sich in Rosannas Leihauto gesetzt, nachdem seine Schwester erklärt hatte, den Wagen nicht zu brauchen, und war nach Kingston St. Mary gefahren. Die Straßen waren leer an diesem Samstagvormittag, und er war rasch vorangekommen.
    »Ich besuche Dad«, hatte er zu Rosanna gesagt und an ihrem Lächeln bemerkt, wie sehr sie sich darüber freute. Die Einsamkeit des verwitweten Vaters machte ihr zu schaffen. Sie rechnete es ihrem Bruder hoch an, dass er sich kümmerte.
    Cedric hatte deswegen ein schlechtes Gewissen. Natürlich ging es auch ihm um den Vater, aber er wusste genau, weshalb er in Wahrheit bis in das Kaff am Ende der Welt fuhr: Er brauchte Geld. Und er hatte niemanden sonst, an den er sich wenden konnte.
    Er hatte kein Geld mehr für das teure Hotel. Er hatte kein Geld für den Rückflug nach New York. Er hatte kein Geld, das er der Freundin zurückgeben konnte, die ihm den Hinflug ausgelegt hatte. Er hatte kein Geld, um seinen beruflichen Start als Fotograf zu finanzieren.
    Er war pleite.
    Er war achtunddreißig Jahre alt, hatte keinen Beruf, kein Geld, keine Frau, keine Kinder.
    Im Grunde, dachte er, habe ich aus meinem Leben nicht mehr gemacht als der behinderte Geoffrey. Nur dass ich keinen Grund für mein Scheitern benennen kann. Ich habe gesunde Beine, gesunde Arme. Ich bin kräftig, und ich bin nicht blöd. Aber an irgendeiner Stelle habe ich irgendeine Abzweigung verpasst.
    Victor hatte gestrahlt. Unverhoffter Besuch war selten für ihn geworden, und er hatte seinen Sohn sofort in den Swan at Kingston zum Mittagessen eingeladen. Sie hatten über Rosannas Auftritt am Vorabend im Fernsehen gesprochen und natürlich über den Fall Elaine Dawson, und Victor hatte von all den Pflanzungen erzählt, die er nun im Frühjahr im Garten vornehmen wollte.
    »Aber du hast doch nie etwas im Garten getan«, meinte Cedric erstaunt. Sein Vater verkörperte geradezu das Klischee des intellektuellen Büchermenschen: belesen, intelligent, völlig unpraktisch im Alltag. Sich ihn mit einer Rosenschere in der Hand vorzustellen, erheiterte und beunruhigte Cedric.
    »Deine Mutter hat den Garten so sehr geliebt«, sagte Victor, »ich … fühle mich ihr sehr nah, wenn ich mich darum kümmere.«
    Dann hatten sie eine Weile über Hazel gesprochen, und endlich, beim Kaffee, war Cedric mit seinem Anliegen herausgerückt. Ob Victor ihm wohl ein wenig…?
    »Aber selbstverständlich!«, hatte Victor sofort ausgerufen. »Wie viel brauchst du denn?«
    Als Cedric die Summe nannte, schluckte sein Vater zwar, aber er stellte noch im Pub einen Scheck aus und schob ihn über den Tisch. »Hier. Damit kommst du erst einmal ein Stück weiter.«
    Es war mehr Geld, als er erbeten hatte. Cedric dankte unbeholfen und wappnete sich für den Vortrag, der nun unweigerlich folgen würde und den er sich natürlich ohne Widerworte anhören musste: dass es so nicht weitergehen könne, was er denn nun mit seinem Leben anfangen wolle, ob er nicht denke, dass es an der Zeit sei, erwachsen zu werden und blablabla … Aber Victor sagte nichts in dieser Art, und als sie das Pub verließen, meinte er nur: »Ich würde mir wünschen, dass du Geoff kurz besuchst, Cedric, ehe du nach London zurückfährst. Es geht ihm gar nicht gut. Meiner Ansicht nach leidet er unter schweren Depressionen. Ich war letzte Woche bei ihm, und sein Anblick hat mich doch sehr bedrückt. Also, wenn du die Zeit hättest …?«
    Er hatte die Zeit, aber natürlich keine Lust, doch er hätte sich als Schuft gefühlt, wäre er dem Wunsch seines Vaters nicht nachgekommen. Deshalb stand er nun hier in diesem bis zum Wahnsinn geputzten Gemeinschaftsraum zwischen lauter Menschen in Rollstühlen und wartete auf Geoffrey, in der Tasche zumindest einen großzügigen Scheck, der ihm Luft verschaffte und ein angenehm warmes Gefühl. Auf dem Weg nach Taunton hatte ihn Rosanna auf dem Handy erreicht, die Verbindung war sehr schlecht gewesen, aber er hatte irgendwie verstanden, dass sie auf dem Weg nach Northumberland hinauf war, in ein Dorf namens Langbury, weil dort ein Mensch aufgetaucht war, der behauptete, die verschwundene Elaine zu kennen und zu wissen, wo sie sich aufhielt. Cedric hätte gern mehr erfahren, aber ehe er fragen konnte, riss das Gespräch ganz ab, und er musste sich mit den Fragmenten begnügen, die er hatte auffangen können.
    Sie steigert sich zu sehr hinein in diese Geschichte, dachte er, und im nächsten Moment fragte er sich, wie sie wohl

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