Die Letzte Spur
Elaine verschwunden war«, sagte Geoffrey, »und nie haben sie zu einem Ergebnis geführt.«
Cedric nickte. »Daher sollte man auch jetzt natürlich sehr vorsichtig sein. Aber man darf einen solchen Hinweis nicht unbeachtet lassen.«
Geoffreys Blässe hatte sich, was zuvor fast unmöglich erschienen wäre, noch vertieft. »Ich glaube das nicht. Ich glaube nicht, dass Elaine in Northumberland lebt.«
»Rosanna ist auf dem Weg dorthin«, sagte Cedric, »und bald wissen wir mehr.«
»Sie legt sich wirklich ganz schön ins Zeug für diesen Typen!«
»Für Reeve? Geoffrey, ich glaube, es geht ihr wirklich um Elaine. Die Sache lässt sie nicht mehr los. Sie möchte wissen, was damals geschehen ist.«
»Sie möchte Reeve reinwaschen.«
»Hör doch endlich mal mit dieser fixen Idee auf!«, sagte Cedric ärgerlich.
Geoff verdrehte die Augen. »Klar, so einfach ist das. Geoff, der Krüppel, ist besessen von einer fixen Idee! Du machst es dir leicht, Cedric. Erzählst mir etwas von einer angeblich heißen Spur, der deine Schwester nachgeht, stehst auf und entschwindest wieder in dein Leben jenseits dieser verdammten Mauern. Und lässt mich mit einer Flut aufgewühlter Gefühle zurück. Wie soll ich denn jetzt mit dieser Information umgehen? Hoffnung schöpfen? Dass Elaine lebt und sich vielleicht erweichen lässt, zurückzukehren und mich hier aus dem Elend zu holen? Oder im Gegenteil hoffen, dass sich dieser Hinweis zerschlägt? Weil ich sonst unweigerlich mit der Tatsache konfrontiert wäre, dass sie sich damals tatsächlich abgeseilt hat? Und vielleicht nicht im Traum daran denkt, sich einen lebenslangen Pflegefall erneut ans Bein zu binden?«
Er war laut geworden. Einige andere Patienten blickten interessiert herüber.
Cedric versuchte ihn zu beruhigen. »Ich denke, du solltest einfach nach vorn schauen. Warten, was kommt, und dann irgendwie damit umgehen. Die Augen verschließen, dir eine eigene Wirklichkeit zurechtzimmern und die Realität ignorieren bringt nichts. Damit machst du dich nur kaputt am Ende. Es hilft doch nichts, Geoff. Wir müssen alle lernen, mit dem umzugehen, was uns das Leben vor die Füße kippt.«
»Ja, du besonders. Dir hat das Leben schließlich jede Menge Schwierigkeiten vor die Füße gekippt!«
»Vielleicht machst du dir auch etwas vor, was mich betrifft. Du siehst nur die Fassade. Und die ist, zugegeben, wesentlich intakter und gesünder als deine. Aber ob ich mein Leben im Griff habe, ob ich zufrieden bin oder gar glücklich – das herauszufinden interessiert dich gar nicht!«
»Wozu sollte ich …?«
»Ja, wozu solltest du dich auch ausnahmsweise einmal für andere interessieren! Das ist etwas, Geoffrey, was du in den vergangenen Jahren komplett verlernt hast. Selbst wenn du ein höfliches Wie geht's dir? über die Lippen bringst, merkt man genau, dass du es in Wahrheit gar nicht wissen willst. Weil du sowieso überzeugt bist, dass es jeder Kreatur auf dieser Welt besser geht als dir und dass es deshalb müßig ist, sich mit den Problemen und Sorgen der anderen auch nur für Sekunden zu beschäftigen!«
»Ich glaube, es ist besser, du gehst jetzt«, sagte Geoffrey. Sein Mund war schmal geworden.
Cedric erhob sich. »Denk mal darüber nach«, sagte er ruhiger. »Ich war mal dein bester Freund. Vielleicht hätte ich es verdient, dass ich dir auch mal meine Kümmernisse klagen dürfte. Ob du es glaubst oder nicht, ich habe nämlich welche!«
Er wandte sich zum Gehen. Ein Kichern hielt ihn zurück – ein böses, fast gehässiges Kichern. Es kam von Geoffrey, der aus seinem Rollstuhl heraus zu ihm hochblickte.
»Ich brauche dich nicht nach deinen Sorgen zu fragen, Cedric«, sagte er mit einem höhnischen Glimmen in den Augen, »weil ich sie kenne. Ich kenne dein Problem ganz genau.«
»So?«, fragte Cedric. Er wusste, es wäre besser, jetzt einfach zu gehen.
»Es verfolgt dich seit zwanzig Jahren. Der Gedanke, dass es genauso gut andersherum hätte laufen können. Du könntest hier sitzen, und ich könnte zur Tür hinausgehen. Es war eine Scheißidee damals. Für einen von uns ist sie übel ausgegangen. Du sagst, man muss nehmen, was einem das Leben vor die Füße kippt? Leider ist das Leben so verdammt ungerecht, und das macht es so schwer. Wäre es gerecht, würdest du hier sitzen. Das weißt du. Und ganz gleich, wie sehr du dieses Wissen zu verdrängen suchst, es arbeitet in dir. Und siehst du«, seine Stimme wurde leiser, noch eindringlicher, »da beginnt sie eben doch.
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