Die letzte Sünde: Kommissar Rosenthal ermittelt in Tel Aviv (German Edition)
ähnlich«, sagte er, an Klara gewandt.
»Sie sieht meinem Sohn sehr ähnlich«, bestätigte die ältere Dame und fuhr aus dem Sessel hoch. »Ich muss Victor anrufen. O Gott! Seine einzige Tochter. Wie soll ich ihm das nur sagen?«
»Möchtest du, dass ich hierbleibe?«
»Nein ... nein. Das muss ich alleine machen. Er muss sofort kommen. Wir müssen sie beerdigen.«
Im Judentum war es üblich, die Toten innerhalb kürzester Zeit zu bestatten, meistens noch am selben Tag. Oder aber am Tag danach. Assaf fühlte, dass er die alte Dame allein lassen musste, auch wenn es ihm schwerfiel, da er nur ahnen konnte, welchen Schmerz sie zu bewältigen hatte. Und wie schwer es für sie sein würde, ihrem Sohn vom Tod der einzigen Tochter zu berichten. Er drückte Klara Chajbi die Hand und gab ihr zum Abschied noch seine Visitenkarte. »Wir sehen uns morgen auf dem Revier. Die Adresse steht auf der Karte. Wenn du Hilfe brauchst, ruf mich jederzeit an. Bitte.«
Dann verließ er das Haus und stand für einen Moment orientierungslos und allein auf der dunklen Straße. Er musste unbedingt mit Moses sprechen, aber es war besser, ihn noch ein wenig in der Zelle schmoren zu lassen. Morgenwürde der Afrikaner dann bestimmt den Mund aufmachen. Entschlossen setzte sich Assaf den Helm auf und fuhr in die Dunkelheit. Er wollte nur noch nach Hause. Und dann würde er seine Mutter anrufen.
KAPITEL 5
Am nächsten Morgen, nach einer unruhigen Nacht, saß Assaf bereits um acht Uhr am Schreibtisch. Ihm war eingefallen, dass Klara Chajbi nicht gesagt hatte, wann sie kommen wollte. Aber um sicherzugehen, hatte Assaf sich bereits um kurz nach halb acht auf den Weg gemacht. Er hätte sowieso nicht viel länger schlafen können, zu viele Gedanken gingen ihm durch den Kopf. Assaf musste einen Mörder finden und für Gerechtigkeit sorgen. Manch einer mochte ihm das nicht glauben, aber tatsächlich war das einer der Gründe, warum er froh über das Angebot von Wieler war. Er wollte seine Heimat zu einem besseren Ort machen. Gerechter, ungefährlicher, sorgloser. Das konnte er an der Grenze auch, aber wenn er ehrlich war, hatte er die Schnauze gestrichen voll von den Terroristen und Schmugglern, den Arabern und Beduinen. Hier in Tel Aviv konnte man noch die Illusion haben, in einem ganz normalen Land zu leben. Wo es zwar auch Mord, Totschlag und Überfälle gab – das war aber auch schon das Schlimmste, was die Menschen in ihrem alltäglichen Leben bedrohte.
In diesem Moment betrat Yossi sein Büro. »Boker tov, Assaf.«
»Boker tov.«
»Was ist der Plan für heute?«
»Ich warte auf die Großmutter von Marina. Sie will ihre Enkeltochter noch einmal sehen. Dann bekommen wir hoffentlich den Durchsuchungsbefehl für die Wohnung von Moses. Wir sollten ihn auch dringend noch einmal befragen, vielleicht hat ihn die Nacht in der Zelle gesprächiger gemacht.«
»Assaf, das glaubst du nicht ernsthaft. Diese Flüchtlinge schmoren doch sowieso nach Ankunft in unserem heiligen Land erstmal wochenlang in Gefängnissen, bevor ihr Status geklärt ist.«
»Richtig. Aber Moses ist kein Flüchtling. Er ist hier mit einem ganz normalen Arbeitsvisum, und daher gehe ich davon aus, dass er noch kein israelisches Gefängnis von innen gesehen hat.« Nach dieser kurzen Belehrung fuhr Assaf unbeirrt fort mit der Auflistung der Dinge, die sie zu tun hatten. »Außerdem sollte dieser Amerikaner kommen. Für wann hast du den Termin gemacht?«
»Für elf.«
»Ich werde dich bei dem Verhör unterstützen. Will mir selbst mal ein Bild machen, was für ein Typ der ist. Nur um alle Teile im Puzzle zu kennen, nicht weil ich dir nicht vertraue«, beeilte er sich klarzustellen. »Und schließlich möchte ich noch mit der Freundin von Marina sprechen. Olga oder Olla. Hab ich was vergessen?«
»Nein. Klingt auch genug für einen Tag.«
»Gut. Ich rufe jetzt erstmal in der Rechtsmedizin an und sage Bescheid, dass Klara Chajbi heute kommt. Und du könntest Moses aus der Haft holen.«
Sein Kollege verstand die Aufforderung, Assaf alleine zu lassen.
Kurz nachdem der Kommissar mit Liat gesprochen und die Großmutter von Marina Koslovsky angekündigt hatte, klingelte auch schon sein Telefon. Ein Mitarbeiter am Empfang bat ihn, eine ältere Dame namens Klara Chajbi abzuholen. Assaf beeilte sich, in das Erdgeschoss des Gebäudes zu kommen, und nahm mehrere Stufen auf einmal. Im kahlen Eingangsbereich stand Klara, und als sie sich zu Assaf umdrehte, glaubte er, ihr Gesicht sei seit
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